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Voodoo

Voodoo

Titel: Voodoo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stone
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könnte sie belauscht werden.
    »Wie?«
    »Sie haben überall Beziehungen. Sie sind sehr reich und sehr mächtig. Sehr einflussreich. Wer den Vertrag zu brechen versucht, den brechen sie.«
    »Gab es schon mal so einen Fall?«
    »Das gehört nun nicht gerade zu den Dingen, die sie in die Welt hinausposaunen. Aber ich bin sicher, dass es schon vorgekommen ist«, sagte Chantale.
    »Was passiert mit den aufsässigen Kindern, die sich nicht einfügen wollen? Den Problemfällen? Denen aus der letzten Reihe, die immer Ärger machen?«
    »Auch darüber wird natürlich nicht offen gesprochen. Aber Allain hat mir mal erzählt, dass die Kinder, die mit dem Lehrplan nicht mithalten können, dorthin zurückgebracht werden, wo man sie gefunden hat.«
    »Oh, das ist aber wirklich sehr human«, sagte Max trocken.
    »Das ist das Leben. Es ist nirgendwo einfach, und hier erst recht nicht. Hier ist es die Hölle. Es ist nicht so, dass diese Kinder nicht wissen, was für ein Glück sie haben.«
    »Sie sollten sich schleunigst einen anderen Job suchen. Sie reden schon wie Ihr Boss.«
    »Leck mich«, murmelte sie leise und drehte das Radio lauter.
    Max dachte einen Moment nach, dann schaltete er das Radio aus.
    »Danke«, sagte er.
    »Wofür?«
    »Dass Sie diesem Fall eine völlig neue Perspektive eröffnet haben: die Arche Noah.«
    »Sie meinen, Charlies Entführer könnte vielleicht von der Schule geflogen sein?«
    »Oder die Carvers haben seine oder ihre Zukunft zerstört, ja. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Das drittälteste Motiv der Welt.«
    »Sie müssen’s ja wissen«, sagte sie.

35
    Für die allermeisten Haitianer ist Saut d’Eau der Ort, an dem mit dem Wasser auch die Wunder fließen. Der Legende nach ist hier am 16. Juli 1884 die Jungfrau Maria einer Frau erschienen, die im Fluss ihre Wäsche wusch. Die Erscheinung verwandelte sich in eine weiße Taube und flog in den Wasserfall, womit dieser auf ewig mit den Kräften des Heiligen Geistes ausgestattet war. Seither hat Saut d’Eau Jahr für Jahr Tausende von Besuchern angezogen, Pilger, die sich unter die heiligen Wasser stellen und lautstark Heilung von Krankheiten erflehen, Erlass von Schulden, eine gute Ernte, ein neues Auto oder eine schnelle Lösung der Probleme mit dem US-Visum. Der Jahrestag des Erscheinens der Jungfrau Maria wird mit Festlichkeiten am Wasserfall begangen, die weithin berühmt sind und den ganzen Tag und die ganze Nacht andauern.
    Als Max die Wasserfälle zum ersten Mal sah, wollte er fast selbst an die Legende glauben. Das Letzte, was er nach stundenlanger Fahrt durch ausgedörrte Landschaften erwartet hatte, war ein kleines tropisches Paradies, aber genau das war es: eine Oase, eine Realität gewordene Fata Morgana, ein Refugium und eine Erinnerung daran, wie die Insel einst ausgesehen hatte und was ihr verloren gegangen war.
    Um zu den Wasserfällen zu gelangen, mussten Max und Chantale dem Ufer eines breiten Flusses folgen, der durch dichten Wald mit üppiger Vegetation, baumelnden Ranken und süß duftenden, leuchtend bunten Blumen lief. Sie waren nicht allein. Je näher sie ihrem Ziel kamen, umso mehr Leute fanden sich auf der Straße ein. Die meisten waren zu Fuß unterwegs, manche auf Eseln oder erschöpft aussehenden Pferden – Pilger auf der Suche nach Heilung. Am Fluss angelangt, wateten sie ins Wasser und näherten sich mit feierlicher und demütiger Haltung den dreißig Meter hohen Wasserfällen. Trotz des gewaltigen Brüllens der donnernden Wassermassen herrschte im Wald eine tiefe Stille, als hätte sich die Essenz der Stille selbst in die Erde und in die Myriaden von Pflanzen eingegraben. Die Menschen schienen das zu spüren: Niemand sprach, und alle bewegten sich leise durchs Wasser.
    Max fiel auf, dass an vielen Bäumen am Wegrand Kerzen und Fotos von Menschen befestigt waren, Bilder von christlichen Heiligen, Autos und Häusern oder Postkarten – die meisten aus New York oder Miami – und Fotos aus Zeitungen und Magazinen. Diese Bäume mit den dicken Stämmen und den spindeldürren Ästen, an denen hier und da gurkenförmige Früchte hingen, hießen in Haiti Mapou , wie Chantale erklärte. Im Voodoo waren sie heilig, ihre Wurzeln galten als Kanal für die Loas – die Götter –, um von dieser Welt in die nächste zu gelangen. Wo sie wuchsen, gab es in der Nähe immer auch fließendes Wasser. Dieser Baum war untrennbar mit der Geschichte Haitis verwoben: Der Sklavenaufstand, der schließlich in Haitis Unabhängigke it mündete,

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