Voodoo
verstand kein einziges Wort, aber das war ihm lieber als Bon Jovi, der flächendeckend auf allen anderen Sendern lief.
Nach fünf Stunden war er wieder auf der Straße, die vom Flughafen nach Pétionville führte. Chantale wachte auf und starrte ihn an, als hätte sie eigentlich damit gerechnet, daheim in ihrem Bett aufzuwachen.
»Was ist passiert?«, fragte sie.
»Woran erinnern Sie sich noch?« Max schaltete das Radio aus.
»Wir haben im Tempel getanzt, wir beide.«
»Danach nichts mehr?«
Chantale dachte nach, aber vergeblich. Max erzählte ihr, was sie verpasst hatte, fing von hinten mit der Dose an, ließ aus, was zwischen ihnen beiden vorgefallen war, und sparte nicht mit Details, um zu beschreiben, wie er sie vor einem potenziellen Vergewaltiger gerettet hatte.
»Das war kein Vergewaltiger, Max«, sagte sie wütend. »Das war eine Banda , eine rituelle Orgie. Die Leute werden von einem Geist besessen und ficken sich die Seele aus dem Leib. Keiner weiß mehr, was er tut.«
»Für mich sah es ganz nach einer Vergewaltigung aus, meinetwegen eine Voodoo-Vergewaltigung, ob der Typ nun wusste, was er tat, oder nicht. Ist mir egal, wie Sie das nennen. Der Kerl hat Ihnen die Kleider vom Leib gerissen«, sagte Max.
»Manche Leute tun das, wenn sie Sex haben wollen, Max. Man nennt das Leidenschaft .«
»Ach ja? Ich begreife nicht, wie man einfach so einen wildfremden Typen vögeln kann. Womöglich hatte der AIDS, Herrgott!«
»Wollen Sie damit sagen, dass Sie noch nie mit einer Fremden geschlafen haben, Max?«
»Was? Natürlich, aber das ist doch was ganz anderes.«
»Wieso? Sie treffen eine Frau – wo? In einer Bar, einer Disco? Die Musik ist laut, Sie sind beide betrunken. Sie gehen irgendwo hin, vögeln, und am Morgen gehen Sie auseinander und werden sich nie wiedersehen. Genau das Gleiche, nur dass es bei uns eine Bedeutung hat.«
»Na klar«, sagte Max trocken. »Wir dekadenten, seelenlosen Amerikaner laufen durch die Gegend und haben bedeutungslose One-Night-Stands, hier dagegen macht man es im Voodoo-Tempel und es ist eine religiöse Erfahrung. Wissen Sie, was ich davon halte, Chantale? Ich halte das für einen Riesenhaufen Scheiße. Ficken ist ficken. Eine Vergewaltigung ist eine Vergewaltigung. Und der Typ war drauf und dran, Sie zu vergewaltigen. Ende der Geschichte. Nie und nimmer hätten Sie es mit so einem schlammbeschmierten Typen getrieben, wenn Sie bei klarem Verstand gewesen wären.«
»Woher wollen Sie das denn wissen?«, schnaubte Chantale. »Damit kennen Sie sich doch wohl nicht aus.«
Max antwortete nicht. Er packte das Lenkrad fester, biss die Zähne zusammen und wünschte eine ganze lange Weile, er hätte die undankbare Zicke zurückgelassen, damit sie sich im Dreck massenvergewaltigen lassen konnte.
Er hatte vorgehabt, Chantale für die Nacht ein Zimmer in seinem Haus anzubieten, aber dann fuhr er doch – viel zu schnell – durch Pétionville und hinunter Richtung Hauptstadt. In Amerika war jede größere Stadt des Nachts erleuchtet wie eine kleine Galaxie. In Port-au-Prince gab es ein paar kleine, trotzige Lichtlein, die in der Dunkelheit schwammen wie vereinzelte weiße Schmetterlinge auf einem Ölteppich, sonst nichts. Er kannte keinen anderen Ort, der so dunkel war.
39
Es war noch dunkel, als er zurückkam, aber die Grillen waren verstummt, und auf dem Hof zwitscherten die Vögel. Die Morgendämmerung war nicht mehr fern.
Auf dem Anrufbeantworter eine Nachricht von Joe. Es war noch zu früh, ihn zurückzurufen.
In der Dose, die der Typ mit den Dreadlocks ihm gegeben hatte, fand Max eine Brieftasche aus Krokodilleder mit mehreren Karten: eine für den Geldautomaten, eine American Express, VISA, Mastercard, Bibliotheksausweis, Blutspenderausweis, Gold’s Gym. Sie gehörten Darwen Medd.
Außerdem ein halbes Dutzend Visitenkarten, schwarze Schrift auf weißem Grund, von einer Büroklammer zusammengehalten. Wenn er noch am Leben war, dann arbeitete er in Tallahassee und hatte sich auf die Suche nach Vermissten und auf Wirtschaftsangelegenheiten spezialisiert. Letzteres war wahrscheinlich neu im Angebot und noch im Aufbau begriffen, eine Diversifikation mit dem Ziel, auch noch arbeiten zu können, wenn man zu alt und zu langsam geworden war, um Ausreißer und Entführte zu jagen. Detektivarbeit im Wirtschaftssektor war sicherer und sehr viel besser bezahlt. Man hockte den ganzen Tag am Schreibtisch und verfolgte Spuren mit Hilfe von Telefon, Fax und Computer. Aus dem Haus
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