Voodoo
Verbänden abgesucht. Aber es war alles wie immer. Noch.
Er hatte regelmäßig Besuch bekommen. Ein Arzt und eine Krankenschwester – begleitet von drei bewaffneten Wachleuten – hatten ihn untersucht. Der Arzt hatte ihm jede Menge Fragen gestellt, er hatte Englisch mit deutschem Akzent gesprochen. Max’ Fragen hatte er nicht beantwortet. Am zweiten Tag war er nicht mehr erschienen.
Man hatte ihm dreimal am Tag zu essen gebracht und jeden Tag eine amerikanische Zeitung, in der nie irgendetwas über Haiti stand. In dem Fernseher am Fuße seines Bettes hatte er Kabelfernsehen geschaut. Am Morgen bevor er zu Vincent Paul gebracht wurde, hatte man ihm Gesicht und Kopf rasiert und ihm seine Kleider zurückgegeben – gewaschen und gebügelt.
»Entspannen Sie sich. Wenn ich Sie tot sehen wollte, hätte ich nur die kleinen Jungs machen lassen müssen, die hätten Sie in Stücke gerissen«, sagte Paul mit einer tiefen Stimme, die Max in den Eingeweiden spürte. Paul war sehr dunkel, seine Augen lagen so tief, dass nur zwei glänzende Punkte zu sehen waren, die das Licht reflektierten und sich hin und her bewegten, als wären dort Glühwürmchen in seinen Augenhöhlen. Er hatte keine Falten im Gesicht. Er sah nicht mehr ganz jung aus – vielleicht Anfang fünfzig –, aber längst nicht so alt, wie Max ihn geschätzt hatte. Glatze, lange, schmale Nase, breiter Unterkiefer, dicke Augenbrauen, kurzer, kräftiger Hals, kein Fett, nur Muskeln. Max musste an Mike Tyson denken, an einen Mapou -Stamm und an die Büste eines grausamen Tyrannen mit Ambitionen auf Weltruhm. Selbst im Sitzen wirkte Paul riesig, alles an ihm war ins Monumentale übersteigert.
»Es ist weniger das Sterben, das mir Sorgen macht«, sagte Max. »Mich beschäftigt eher, wie viel von mir Sie am Leben lassen werden.«
Nach außen hin wirkte Max nicht nervös, aber innerlich war er in höchstem Maße angespannt. Nur sehr wenig in seinem Leben hatte ihn auf eine solche Situation vorbereitet: gefangen und auf Gedeih und Verderb der Gnade eines Feindes ausgeliefert. Er hatte keine Ahnung, was hinter der nächsten Ecke auf ihn wartete. Wenn Paul ihn aufschneiden und in einen zweiten Beeson verwandeln ließ, dachte er, würde er sich bei der ersten Gelegenheit eine Kugel in den Kopf jagen.
»Ich kann Ihnen nicht folgen.« Paul runzelte die Stirn. Die Hände, mit denen er einem Mann die Hoden zerquetscht und vom Körper gerissen hatte, lagen gefaltet auf seinem Solarplexus. Sie waren abnormal breit und beängstigend groß. Diese Hände waren von der Natur so riesig gemacht, dass es ästhetisch vollkommen überzeugend schien, dass sie je zwei kleine Finger hatten. Und sie waren manikürt. Die Nägel glänzten.
»Einen meiner Vorgänger haben Sie aufgeschlitzt, sodass er seine Exkremente nicht mehr bei sich behalten kann«, sagte Max.
»Ich kann Ihnen nicht folgen«, wiederholte Paul, diesmal langsamer.
»Waren es etwa nicht Sie und Ihre Leute, die Clyde Beeson aufgeschnitten und seine Innereien neu sortiert haben?«
»Nein.«
»Was ist mit dem Haitianer, der an dem Fall gearbeitet hat? Emmanuel Michaels?«
» Michel- ange …«, korrigierte Paul.
»Genau.«
»… der unten am Hafen mit seinem Penis in der Kehle und den Eiern in den Wangen gefunden wurde?«
»Waren Sie das?«
»Nein.« Paul schüttelte den Kopf. »Michelange hat es mit der Frau eines anderen getrieben. Der Ehemann hat sich seiner angenommen.«
»Schwachsinn!«, sagte Max sofort.
»Wenn Sie sich umhören, werden Sie feststellen, dass es wahr ist. Es passierte zwei Wochen, nachdem er den Fall übernommen hatte.«
»Wissen die Carvers darüber Bescheid?«
»Könnten sie, wenn sie sich umgehört hätten«, sagte Paul.
»Woher wollen die Leute wissen, dass es der Ehemann war?«
»Er hat es gestanden. Er hat es in seinem eigenen Schlafzimmer gemacht, vor den Augen seiner Frau.«
»Wem hat er gestanden?«, fragte Max.
»Der UN.«
»Und?«
»Und was?«
»Wurde er festgenommen?«
»Natürlich. So lange, wie er brauchte, ihnen die Tat zu schildern. Dann haben sie ihn laufen lassen. Er betreibt ein Hotel und ein Casino unweit von Pétionville. Läuft ganz gut. Sie können sich mit ihm unterhalten, wenn Sie wollen. Das Hotel heißt El Rodeo, sein Name ist Frederick Davi.«
»Was ist mit seiner Frau?«
»Die hat ihn verlassen«, sagte Paul mit unbewegter Miene und lachenden Augen. Max setzte sein Verhör fort.
»Okay. Was ist mit Darwen Medd? Wo ist der? Haben Sie ihn
Weitere Kostenlose Bücher