Voodoo
Max.
»Carver hat eine extreme Abneigung gegen jede Art von Konkurrenz. Wäre es eine ganz normale Geschäftsschuld gewesen, hätte ich das vielleicht als irgendwie ›fair‹ akzeptieren können. Im Wirtschaftsleben passiert so was andauernd. Aber hier ging es nicht ums Geschäft. Das war etwas Persönliches. Und wenn es persönlich wird, spielt Carver das Spiel unweigerlich bis zum bitteren Ende.«
»Was ist passiert?«
»In Kurzfassung: Meine Familie war sehr erfolgreich in zwei Geschäftszweigen tätig, Import-Export und im Baugewerbe. Bei vielen Waren haben wir Carver unterboten, manchmal um bis zu fünfzig Prozent, gelegentlich sogar mehr. Also haben die Leute nicht mehr bei ihm gekauft, sondern sind zu uns gekommen. Außerdem hatten wir vor, in Saut d’Eau an den heiligen Wasserfällen ein Hotel für Pilger zu bauen. Es sollte eine billige Unterkunft werden, aber bei den Menschenmassen, die gekommen wären, hätten wir ein Vermögen gemacht. Gustav Carver war stinksauer. Er verlor sein Gesicht und ziemlich viel Geld – und das Einzige, was dieser Mann noch mehr hasst, als Geld zu verlieren, sind die Leute, an die er es verliert.
Also hat er still und heimlich die Banque Dessalines aufgekauft, bei der wir einen Kredit aufgenommen hatten, um uns zu vergrößern. Gustav hat den Kredit gekündigt. Wir hatten natürlich nicht so viel Bargeld, um alles zurückzuzahlen, also hat er unseren Laden dichtgemacht und uns in den Konkurs getrieben. Er hat das Bauprojekt in Saut d’Eau übernommen und uns finanziell den Hahn abgedreht, hat den Ruf meiner Familie zerstört und den Namen Paul in den Schmutz gezogen.
Und um all dem die Krone aufzusetzen, wissen Sie, was er getan hat, nachdem er unsere Welt buchstäblich in Schutt und Asche gelegt hatte? Er hat mit den Ziegeln unseres Hauses seine Bank gebaut. Das war zu viel für meinen Vater. Er war ein sehr stolzer Mann, aber er war kein Kämpfe r. Er hat sich das Leben genommen.«
»Gott!«, sagte Max. Wenn Paul nicht übertrieb – was Max bezweifelte –, hatte er vollstes Verständnis für seinen Hass auf Carver . »Was ist aus dem Rest der Familie geworden?«
»Ich habe zwei Schwestern und einen Bruder, keiner von denen lebt mehr im Land, und keiner wird wohl jemals zurückkommen.«
»Und Ihre Mutter?«
»Am Tag unserer Ankunft hier ist sie in Miami gestorben. Bauchspeicheldrüsenkrebs. Ich wusste nicht einmal, dass sie krank war. Niemand hatte es mir gesagt.«
»Onkel, Tanten, Cousins?«
»Ich habe keine Verwandten mehr in Haiti. Nur noch meinen Sohn, wenn er denn hier ist.«
»Freunde?«
»Schon in guten Zeiten sind wahre Freunde ein seltenes Gut. Aber in den wohlhabenden Kreisen Haitis, in denen wir uns damals bewegt haben, neigen die ›Freunde‹ dazu, deutlich weniger zu werden, wenn mal eine schlechte Phase kommt – es sei denn, man kennt sich schon ein Leben lang –, und gänzlich auszusterben, wenn man pleite ist. Für die gibt es nur eines, das noch schlimmer ist, als kein Geld zu haben: einmal Geld gehabt und es wieder verloren zu haben. Sie meiden einen, als wäre der Misserfolg ansteckend. Ich habe einen langjährigen ›Freund‹ meines Vaters um Hilfe gebeten, ein Dach über dem Kopf und einen kleinen Kredit, um über die Runden zu kommen, bis ich wieder auf eigenen Beinen stehen konnte. Diesem Mann hatte mein Vater früher oft ausgeholfen. Er hat Nein gesagt, er meinte, das Kreditrisiko sei zu hoch«, sagte Paul bitter. Max konnte die Verachtung regelrecht sehen. Paul gehörte zu den Menschen, die nichts vergeben und die von ihrem Hass zehren. Es war der dunkle, schwere Treibstoff, der sie vorwärts trieb. Leute wie er, die Betrogenen, denen man ins Gesicht gespuckt, ein Messer in den Rücken gerammt und die man abgeschrieben hatte, konnten es zu enormem Erfolg bringen und die schlimmsten menschlichen Eigenschaften entwickeln.
»Und was haben Sie getan, nachdem Sie gesehen hatten, was mit Ihrem Anwesen passiert war? Hatten Sie noch Geld?«
»Nein, nicht einen Cent«, lachte Paul. »Aber ich hatte Anaïs, mein Kindermädchen. Ich war wie ein eigener Sohn für sie. Von meiner Geburt an hat sie für mich gesorgt, genau genommen hat sie sogar geholfen, mich auf die Welt zu bringen. Wir standen uns so nah, dass ich geschworen hätte, sie sei meine Mutter. Und wie ich meinen Vater kannte, hätte mich das nicht überrascht. Er und mein Großvater waren nicht gerade große Verfechter der Monogamie.
Anaïs hat uns bei sich aufgenommen. Sie
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