Voodoo
lebte in einem winzig kleinen Haus in La Saline. Wir haben alle in einem Zimmer geschlafen und gegessen und uns im Freien an einer Wasserpumpe gewaschen. Es war ein Leben, wie ich es schon oft gesehen hatte, aber ich hatte nie gedacht, dass ich es einmal selbst kennenlernen würde. Und Josie … na ja, für die war es ein echter Kulturschock, aber sie sagte, immer noch, besser als in einem englischen Knast.«
»Sie haben nie daran gedacht, nach England zurückzukehren und sich der Sache zu stellen?«
»Nein.«
»Und Josie?«
Paul richtete sich auf und rückte seinen Stuhl näher an den Schreibtisch. »Ich hatte nicht vor zuzusehen, wie die Frau, die ich liebe, zurück in die Hölle geht, solange ich es irgendwie vermeiden konnte.«
»Der Zweck heiligt die Mittel, wie? Wenigstens sind Sie konsequent.«
»Was hätte ich denn sonst tun sollen, Mingus?«
»Sich der gerechten Strafe stellen.«
»Entschuldigung, dass ich gefragt habe. Einmal Bulle …«
»Nein«, fiel ihm Max ins Wort. »Sie hat einen Menschen getötet, weil sie sich besoffen ans Steuer gesetzt hat. Sie war keine Heilige. Sie war nicht im Recht. Und das wissen Sie genauso gut wie ich. Denken Sie mal an die Familie des Opfers, drehen Sie das Bild um, und dann ist es Ihre Josie, die von einem Betrunkenen totgefahren wird, der dann auch noch Fahrerflucht begeht, und Sie stehen da mit Ihrer Trauer. Dann würden Sie die Sache ganz anders sehen, glauben Sie mir.«
»Und bei den drei Jugendlichen, die Sie abgeknallt haben, haben Sie da auch schon mal an die Familie gedacht?«, fragte Vincent eisig.
»Nein, habe ich nicht«, sagte Max mit zusammengebissenen Zähnen. »Und wissen Sie, warum nicht? Weil diese drei Jugendlichem aus Spaß ein kleines Mädchen vergewaltigt und misshandelt haben. Ich weiß, dass sie auf Crack waren, aber die meisten Leute auf Crack tun so was nicht. Diese Arschlöcher hatten es nicht verdient zu leben. Das mit dem Typen, den Francesca überfahren hat, ist eine ganz andere Nummer, und das wissen Sie genau.«
Vincent lehnte sich weit über den Tisch, die riesige Hand um die geballte Faust gelegt. Wieder sah Max seine entwaffnend schönen Augen.
Keiner von beiden sagte ein Wort. Eine Ewigkeit erwiderte Max Vincents Blick. Schließlich gab der große Mann auf. Max setzte sein Verhör fort.
»Ist mal jemand hier gewesen und hat nach Ihnen gesucht? Polizisten?«
»Nicht, dass ich wüsste, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis unsere Spur hierher führen würde. Wir haben eineinhalb Jahre in La Saline gelebt. Dort waren wir sicher. Niemand geht dahin, außer man wohnt da oder kennt jemanden, der da wohnt, oder man hat eine schwer bewaffnete Militäreskorte dabei. Oder man will Selbstmord begehen. Da hat sich bis heute nicht viel geändert.«
»Wie waren die Leute zu Ihnen?«
»Freundlich. Sie haben uns akzeptiert. Natürlich war Josie dort so eine Art Außerirdische, aber wir hatten in der ganzen Zeit, die wir da gewohnt haben, keine Probleme.
Wir haben bei der Tankstelle am Ort gearbeitet, und zum Schluss haben wir sie übernommen. Wir haben da Neuerungen eingeführt, die für die Zeit damals echt innovativ waren. Wir haben ein Restaurant angeschlossen, eine Autowaschanlage, eine Werkstatt und einen kleinen Laden. Anaïs hat das Restaurant geführt, und Josie den Laden. Sie hat sich die Haare braun gefärbt. Ich habe nur Leute aus La Saline eingestellt. Wir mussten Schutzgeld an die Macoutes zahlen, an Eddie Faustin und seinen kleinen Bruder Salazar.
Ich wusste sofort, dass sich Eddie in Josie verguckt hatte. Er kam jeden Tag vorbei und hat ihr was mitgebracht, und zwar immer, wenn ich unterwegs war, um Ware zu holen. Sie hat nie etwas von ihm angenommen und immer sehr freundlich abgelehnt, um ihn nicht zu beleidigen.«
»Was haben Sie dagegen getan?«
»Was hätte ich tun sollen? Er war ein Macoute, noch dazu einer der meistgefürchteten im ganzen Land.«
»Muss Sie ja ziemlich gewurmt haben, so schwach zu sein.«
»Natürlich hat es das.« Vincent sah ihn forschend an, um zu sehen, worauf er hinauswollte.
Max wollte auf gar nichts hinaus. Er wollte ihn provozieren, ihn bewusst aus der Fassung bringen.
»Erzählen Sie weiter.«
»Die Geschäfte liefen gut. Zwei Jahre nach unserer Ankunft in Haiti sind wir aus La Saline weggezogen und haben uns ein kleines Haus in der Stadt gekauft. Ich war der Meinung, wir wären sicher. Niemand hatte nach uns gesucht. Wir konnten endlich zur Ruhe kommen. Josie hatte sich
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