Voodoo
ziemlich gut in Haiti eingelebt. Sie mochte die Menschen, und die Menschen mochten sie. Sie hatte nie richtig Heimweh, aber natürlich hat sie ihre Eltern vermisst. Sie konnte ihnen nicht einmal eine Postkarte schicken, um sie wissen zu lassen, dass es ihr gut ging, aber ihr war klar, dass sie diesen Preis für ihre Freiheit zahlen musste.
An dem Tag, an dem Gustav Carver an der Tankstelle vorfuhr, fingen unsere Schwierigkeiten an. Ich habe mich geweigert, ihn zu bedienen. Sein Fahrer ist ausgestiegen, hat seine Waffe auf mich gerichtet und mir befohlen, den Wagen zu betanken. Natürlich waren der Wagen und er noch im gleichen Moment umringt von den Leuten, die gerade in der Nähe waren, ungefähr zwanzig, manche mit Pistolen, andere mit Macheten und Messern. Sie hätten ihn und den alten Carver umgebracht, hätte ich nur ein Wort gesagt. Aber gibt es eine bessere Strafe für einen stolzen Menschen, als von dem Sohn jenes Mannes gedemütigt zu werden, dessen Leben er zerstört hatte? Ich kann Ihnen sagen, die Rache war süß.
Ich habe dem Fahrer die Waffe abgenommen und ihn und seinen Chef vom Hof gejagt. Er musste den Schlitten drei Meilen durch glühende Hitze zur nächsten Tankstelle schieben, weil es damals noch keine Handys gab und die Autotelefone hier draußen nicht funktionierten, und einen Pannendienst gibt es hier auch nicht.
Carver hat mich durch die Heckscheibe angestarrt, als wollte er mich umbringen. Dann hat er Josie gesehen, und sein Gesichtsausdruck hat sich verändert. Er hat gelächelt, hat sie angelächelt, aber vor allem mich.
Ich weiß nicht, ob alles anders gekommen wäre, hätte ich Carver bei mir tanken und seiner Wege ziehen lassen. Aber das ist nun mal nicht meine Art. Ich kann mir keine Situation vorstellen, in der ich vor diesem bösartigen Drecksack jemals einen Kotau machen würde. Da hätte ich das Anwesen meiner Familie auch gleich selbst plattwalzen können.
Wie auch immer, den ganzen Tag und noch den Tag danach habe ich mit dem Schlimmsten gerechnet, dass ein paar Wagenladungen Macoutes kommen würden, um mich zu holen.«
Vincent hielt inne und betrachtete das Foto von sich und seinem Vater. Sein Gesicht war starr, die Lippen verkniffen, die Zähne fest zusammengebissen. Er gab sich alle Mühe, nicht zu platzen – ob vor Wut oder vor Traurigkeit, war schwer zu erkennen. Max bezweifelte, dass er in den letzten Jahren mit irgendjemandem über diese Geschichte geredet hatte, sodass sich die Gefühle von damals in ihm aufgestaut hatten, fest eingeschlossen und ohne Ventil, um sich langsam zu entladen.
»Nur die Ruhe, Vincent«, sagte Max leise.
Paul atmete ein paar Mal tief durch, dann hatte er sich wieder gefangen und erzählte weiter.
»Wenige Wochen später war Josie plötzlich verschwunden. Jemand sagte mir, sie sei mit Eddie Faustin weggefahren. Ich habe Leute losgeschickt, um nach ihr zu suchen, aber sie haben sie nicht gefunden. Ich bin zu Faustins Haus gefahren. Sie waren nicht da. Ich habe weitergesucht. Habe die ganze Stadt durchkämmt, ich war überall, wo Faustin sich so herumtrieb. Sie war nirgends zu finden.
Als ich zurückkam, war Gustav Carver da und wartete auf mich – in meinem Haus. Nach dem Vorfall an der Tankstelle hatte Carver Erkundigungen eingezogen. Er hatte zwei Beamte von Scotland Yard und eine Kopie von Josies Vorstrafenregister bei sich und einen ganzen Stapel englischer Zeitungen mit dicken, fetten Überschriften zu ihrem Fall und ihrer Flucht. In manchen Zeitungen wurde sogar behauptet, ich hätte sie entführt, es gab Cartoons von mir als King Kong. Carver meinte, die Ähnlichkeit sei frappierend.
Er sagte, er habe sich ausführlich mit Josie unterhalten, sie habe ihre Zwangslage verstanden und habe sich seinen Bedingungen gebeugt. Nun hinge alles von meiner Zustimmung ab, das behauptete er zumindest. Wenn ich Nein sagte, würden die Beamten Josie und mich mit nach England nehmen. Wenn ich mein Einverständnis gab, würden sie wieder abreisen und behaupten, dass wir nicht in Haiti sind.«
»Wozu wollte er Ihr Einverständnis – dass Sie Josie aufgeben?«
»Ja. Er wollte sie für seinen Sohn Allain. Sie sollte bis zum Ende ihrer Tage bei ihm bleiben, ihm Kinder gebären und jeden Kontakt zu mir abbrechen. So und nicht anders. Und ich, ich würde frei sein, solange ich nicht den Versuch unternahm, sie zu sehen oder zu kontaktieren. Oh, und ich musste persönlich Carvers Wagen betanken, sollte er je wieder an meiner Tankstelle
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