Voodoo
strich und die süßlichen Gerüche von Jasmin und brennendem Abfall herantrug.
Er dachte nach.
Vincent Paul hatte Charlie nicht entführt.
Wer dann?
Ein Feind von Paul, oder einer der Carvers?
Und wenn es einer von Carvers Feinden war: Wusste er, wer Charlies Vater war?
Was war mit Beeson und Medd geschehen?
Offensichtlich waren sie der Wahrheit sehr viel näher gekommen als er, und sie hatten dafür bezahlt.
Der Gedanke, Beeson könnte vor ihm der Lösung auf die Spur gekommen sein, weckte die schlafenden Überreste seines Wettkampfgeistes und seines Stolzes. Es machte ihn fast wütend, dass der schwitzende kleine Schnüffler den Fall beinah geknackt hatte, während er praktisch nicht von der Stelle kam.
Dann fiel ihm ein, was seinem alten Rivalen widerfahren war, und er ließ den Gedanken ziehen.
Er musste noch einmal mit Beeson reden, um herauszufinden, was er wusste. Er würde Joe bitten, ihn ins Gebet zu nehmen.
Bis dahin war Eloise Krolak seine einzige Spur.
Er würde bald wissen, ob sie etwas mit Charlies Verschwinden zu tun hatte oder nicht.
48
Am nächsten Tag beobachtete Max, wie Eloise wieder von dem silbernen Geländewagen vor der Arche Noah abgeholt wurde. Es war Punkt 18:00 Uhr. Er folgte dem Wagen nach Pétionville, wo er auf den Hof eines einstöckigen Hauses an einer von Bäumen gesäumten Wohnstraße unweit des Zentrums einbog.
Max fuhr an dem Haus vorbei und parkte am Ende der Straße.
Nach einer Stunde machte er einen kleinen Spaziergang, um das Haus in Augenschein zu nehmen. Es herrschte tiefschwarze Dunkelheit. Die Straße war komplett verlassen, und in den Nachbarhäusern schien niemand zu wohnen. In keinem einzigen Fenster war Licht zu sehen, und kein einziger Laut war zu hören, nur der Gesang der Zikaden und das Knarren der Zweige über seinem Kopf. Eine unheimliche Stille. Nicht einmal die Trommeln oben in den Bergen waren zu hören.
Er beobachtete das Haus von der gegenüberliegenden Straßenseite aus. In einem der Zimmer im oberen Stock lief ein Fernseher. Er fragte sich, ob Eloise sich ein ähnliches Video ansah wie das, das er gefunden hatte.
Er ging zurück zu seinem Landcruiser.
Kurz nach 7:00 Uhr fuhr der Geländewagen wieder aus der Einfahrt und blieb praktisch sofort im Verkehr stecken. Vor der Markthalle von Pétionville – einem großem senfgelben Bau mit braunem, rostigem Blechdach – wimmelte es von Menschen. Auf den Straßen war der Handel bereits eröffnet, Männer und Frauen jeden Alters boten Fisch, Eier, lebende Hühner, tote Hühner – gerupft und ungerupft –, fragwürdig aussehendes rotes Fleisch, hausgemachte Süßigkeiten, Kartoffelchips, Limonade, Zigaretten und Alkohol feil. Das Land schien sich nur mühsam durch die Jahrzehnte zu schleppen, aber die Menschen strahlten schon am frühen Morgen eine Vitalität aus, die Max in amerikanischen Städten noch nie gespürt hatte.
Sie brauchten zwanzig Minuten zur Straße nach Port-au-Prince, dann noch einmal fünfzig Minuten bis in die Hauptstadt. Eloise stieg vor der Arche Noah aus und winkte dem Geländewagen nach, der hupend Richtung Boulevard Harry Truman davonfuhr.
Max folgte ihm über die Küstenstraße. Als die Banque Populaire in Sicht kam, setzte der Geländewagen den rechten Blinker, um in die Auffahrt einzubiegen, die den Angestellten und besonderen Kunden vorbehalten war.
Max fuhr geradeaus weiter, als der Geländewagen durchs Tor rollte, nach ein paar Metern wendete er auf der Straße und fuhr zurück zur Bank. Er musste eine Runde ums Gebäude drehen, bis er die Kundeneinfahrt gefunden hatte.
Als er auf den Parkplatz fuhr, sah er jemanden, den er kannte, auf den Haupteingang zugehen. Die Person blieb unvermittelt stehen, machte kehrt und ging zurück in die Richtung, aus der sie gekommen war.
Der Parkplatz für die Angestellten und der für die Allgemeinheit waren nur durch eine mittelhohe Hecke voneinander getrennt. Max hatte einen ungehinderten Blick auf den Geländewagen und auf die Person, die darauf zuging.
Auf einmal war alles klar.
Er begriff, warum Claudette ihren Entführer in Orange gemalt hatte: Es war sein Haar, der orangerote Afro.
Der orangefarbene Mann war Maurice Codada, der Leiter der Sicherheitsabteilung.
Am Abend rief Max Vincent Paul an und erzählte ihm alles, was er herausgefunden hatte. Paul hörte schweigend zu.
»Wir werden sie in ein paar Stunden holen, gleich morgen früh«, sagte Paul ruhig. »Ich möchte, dass Sie die beiden verhören. Holen Sie
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