Voodoo
gefolgt von Georgina C. Er zog den Band aus dem Regal und schlug ihn auf.
Keine Seiten. Das Buch war kein Buch, sondern eine Videohülle, nicht unähnlich den Bibeln mit den ausgeschnittenen Seiten, in denen Junkies ihre Utensilien und ihren Stoff aufbewahrten. Max nahm die unbeschriftete schwarze Kassette heraus. Darunter lag das Foto eines ängstlich dreinblickenden Mädchens, höchstens zwölf Jahre alt. Er öffnete die Kassetten A und B und fand in jeder ein anderes Foto. Auf dem ersten lächelte sie noch in die Kamera, auf dem zweiten sah sie verwirrt aus.
Max ging das ganze Regal durch. Überall Videokassetten in einer Hülle mit einem Mädchennamen darauf. Jungen gab es hier nicht, keinen Charlie oder Charles A-C.
Aber er entdeckte Claudette T .
Und er entdeckte Eloise .
»Was haben Sie da?«, fragte die Frau, die am Schreibtisch saß. New Yorker Akzent.
»Videokassetten. Und Sie? Was ist auf dem Computer?«
»Buchführung. Die Hauptbücher bis 1985 sind eingescannt worden. Alles danach ist in einer Datenbank. Dieses Pärchen hat Kinder verkauft«, sagte sie.
»Ich bin gleich bei Ihnen und schau mir das an«, sagte Max und ging zum Fernseher. Er stellte ihn an und schob Eloise A in den Videorekorder.
Es war unmöglich zu sagen, von wann die Aufnahmen stammten, doch im Gesicht des Kindes, das den Bildschirm mindestens zwei volle Minuten lang ausfüllte, waren nur entfernt die Züge der erwachsenen Eloise zu erkennen. Sie war damals höchstens fünf oder sechs Jahre alt gewesen.
Bei der ersten Vergewaltigungsszene hielt Max das Band an.
Die Frau am Schreibtisch hatte aufgehört zu arbeiten. An ihrer Miene, die zwischen Abscheu und Verzweiflung schwankte, erkannte er, dass sie das Gleiche gesehen hatte wie er.
»Zeigen Sie mir, woran Sie da arbeiten?«, fragte Max und ging rasch zu ihr.
Sie deutete auf den Bildschirm: ein Blatt, das in sechs Spalten mit den Überschriften Nom , Age , Prix , Client , Date de Vente und Adresse unterteilt war. Es stammte vom August 1977 und zeigte, welches Kind an welchen Kunden verkauft worden war und wo diese lebten.
Rasch überflog er die letzte Spalte: Von den dreizehn Kindern auf der Liste waren vier in die USA und nach Kanada gegangen, zwei nach Venezuela, je eines nach Frankreich, Deutschland und in die Schweiz, drei nach Japan, eines nach Australien. Die Käufer waren mit ihren vollen Namen aufgeführt.
Sie riefen die Datenbank auf.
Es war eine lange Geschichte.
Die Datenbank war nach Jahren und innerhalb der Jahre noch einmal nach Ländern sortiert.
Neben den Namen, Adressen, Geburtsdaten, Berufen und Arbeitgebern der Käufer – hier »Kunden« genannt – waren da auch ihre Gehälter, ihre sexuelle Orientierung, ihr Personenstand, die Anzahl ihrer Kinder und die Namen und Adressen ihrer Freunde und Bekannten in Wirtschaft, Politik, Medien, Unterhaltung und anderen Bereichen aufgelistet.
Die erste verzeichnete Transaktion hatte am 24. November 1959 stattgefunden. An diesem Tag hatte Patterson Brewster III, leitender Direktor der Pickle and Preservatives Company , einen haitianischen Jungen namens Gesner César »adoptiert«.
Die Adoption hatte ihn 575 Dollar gekostet.
Die letzte verzeichnete Adoption war die von Ismaëlle Cloué durch Gregson Pepper, Bankier aus Santa Monica, Kalifornien.
Der Preis betrug 37 500 Dollar (S).
(S) stand für Standardservice: kein Drumherum, keine Vorzugsbehandlung, keine besonderen Vergünstigungen, normales Procedere. Der Käufer wählte seine »Ware« – wie die Kinder in der Kolumne, in der ihre Daten aufgeführt waren, genannt wurden –, bezahlte und entschwand mit ihm oder ihr. Der Preis war immer der gleiche, und es gab keinen Wettbewerb um die Ware.
Wenn mehrere Käufer am selben Kind interessiert waren, kam es zu einer Auktion (A), wobei der Anfangspreis der üblichen Standardrate entsprach.
Der höchste Preis, der je bei einer Auktion für ein Kind erzielt worden war, belief sich auf 500000 Dollar, gezahlt von dem kanadischen Geschäftsführer einer Ölfirma in Kuwait für ein sechsjähriges Mädchen. Das war im März 1992 gewesen.
Weitere Servicekategorien lauteten:
(B) für Bon Ami – guter Freund. Das waren Käufer, die sich das Kind ihrer Wahl aus dem Angebot reservieren lassen konnten, ohne Konkurrenz. Der Preis war höher, er lag zwischen 75000 und 100000 Dollar, je nach Beliebtheit des Kindes und dem »Zusatzwert« des Käufers. Der wiederum war in einer eigenen Kolumne unter der Überschrift
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