Voodoo
runtergeschraubt, ich könnt im Grunde ganz aufhören. Das Älterwerden macht mich fertig. So einen Kater steck ich nicht mehr so weg wie früher.«
»Und geht’s dir besser damit?«
»Kein Stück.«
Im Gesicht war Joe nicht sehr gealtert – soweit man das im Lounge-Licht beurteilen konnte –, aber sein Haaransatz war nach hinten gewandert, und er trug das Haar länger als früher, was Max vermuten ließ, dass es oben langsam ausdünnte.
In d er Lounge saßen ein paar Pärchen in Bürokleidung. Aus den Ecklautsprechern tröpfelte nichts sagendes Geklimper, eine Melodie war nicht zu erkennen. Womöglich waren es Pferde, die gegen ein Glockenspiel pissten.
»Wie geht’s Lena?«, fragte Max.
»Gut, Mann. Ich soll dich grüßen«, sagte Joe. Er zog ein paar Fotos aus der Innentasche und hielt sie Max hin. »Verbrecherfotos. Schau mal, ob du jemanden erkennst.«
Max sah die Bilder durch. Auf dem ersten war die ganze Familie zu sehen, Lena in der Mitte. Lena wirkte winzig neben ihrem Mann. Joe hatte sie in der Baptistenkirche kennengelernt. Er war nicht sehr religiös gewesen, aber er hatte die Kirche für die billigere und bessere Alternative gehalten, als durch Kneipen und Clubs zu ziehen oder sich mit Kolleginnen zu verabreden – er hatte sie »den besten Single-Schuppen diesseits des Himmels« genannt.
Lena hatte Max nie leiden können. Er konnte es ihr nicht verübeln. Bei ihrer ersten Begegnung hatte er Blut am Kragen gehabt, weil ein Verdächtiger ihn ins Ohrläppchen gebissen hatte. Sie hatte es für Lippenstift gehalten, und seither hatte sie ihn stets angesehen, als hätte er etwas Böses getan. Und so war ihr Verhältnis, Gespräche inklusive, stets höflich, aber distanziert geblieben. Dass er den Dienst quittiert hatte, hatte es nicht besser gemacht. Und dass er Sandra geheiratet hatte, war für sie ein Skandal. In ihrer Welt mischte selbst Gott nicht Schwarz und Weiß.
Als Max Joe das letzte Mal gesehen hatte, hatte er drei Kinder gehabt, alles Jungs – Jethro, den Ältesten, dann Dwayne und Dean, je ein Jahr auseinander. Aber auf dem Bild hatte Lena zwei kleine Mädchen auf dem Schoß.
»Ja, die links ist Ashley, rechts ist Briony«, sagte Joe stolz.
»Zwillinge?«
»Doppelpack, doppelter Ärger. Alles Stereo.«
»Wie alt?«
»Drei. Wir hatten nicht geplant, noch mehr Kinder zu kriegen. Sind einfach passiert.«
»Die Leute sagen, die ungeplanten werden am meisten geliebt.«
»Die Leute reden viel, wenn der Tag lang ist, und meistens nur Scheiße. Meine Kinder werden alle gleich viel geliebt.«
Süße Mädchen, die beiden. Sie kamen nach ihrer Mutter, hatten die gleichen Augen.
»Sandra hat mir gar nichts davon erzählt«, sagte Max.
»Ihr zwei beiden hattet bestimmt Wichtigeres zu bereden«, sagte Joe.
Der Kellner brachte die zwei Cola und den Bourbon. Joe nahm den Whiskey, schaute sich rasch um und goss ihn auf den Fußboden.
»Für Sandra«, sagte er.
Alkohol vergießen für die Toten, Weingeist für die Geister. Joe tat das immer, wenn aus seiner nächsten Umgebung jemand gestorben war. In diesem Moment drohte Pathos aufzukommen, das Max nicht gebrauchen konnte. Er hatte einiges mit Joe zu besprechen.
»Sandra hat nicht getrunken«, sagte Max.
Joe sah ihn an, erkannte die Reste von Humor auf seinen Lippen und brach in dröhnendes Gelächter aus.
Max betrachtete das Foto seines Patenkindes. Jethro hielt auf gespreizten Fingern einen Basketball in die Luft. Der Junge war zwölf, aber groß und breit genug, um für sechzehn durchzugehen.
»Ganz der Vater«, sagte Max.
»Jet liebt Basketball.«
»Könnte seine Zukunft sein.«
»Könnte, aber Zukunft ist Zukunft, lassen wir’s dabei. Außerdem will ich, dass er die Schule gut hinter sich bringt. Der Junge hat was im Kopf.«
»Und er soll nicht in deine Fußstapfen treten?«
»Wie gesagt, der Junge hat was im Kopf.«
Sie stießen an.
Max gab ihm die Fotos zurück und schaute runter in die Bar. Gerammelt voll. Brickell-Avenue-Banker, Geschäftsleute, Büromenschen mit gelockerter Krawatte, Handtaschen neben den Stühlen, die Jacketts nachlässig über die Rückenlehne gehängt, der Saum auf dem Fußboden. Er nahm zwei Managertypen in nahezu identischen hellgrauen Anzügen ins Visier, die je eine Flasche Bud umklammert hielten und auf zwei Frauen einredeten. Sie hatten die beiden gerade erst kennengelernt, hatten die Vornamen ausgetauscht, ein paar allgemeine Floskeln gewechselt und waren jetzt auf der Suche nach dem
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