Voodoo
hörte praktisch nichts anderes. Wann immer Springsteen auf Tour ging, sicherte sich Joe für sämtliche Konzerte in Florida einen Sitzplatz in der ersten Reihe. Max’ größte Angst war es, mit seinem Partner im Auto sitzen zu müssen, nachdem der seinen Helden live erlebt hatte, weil Joe ihm das Ereignis regelmäßig mit quälendem Detailreichtum schilderte, Song für Song, Seufzer für Seufzer. Springsteens Konzerte gingen in der Regel über drei Stunden, Joes Berichte dauerten mindestens sechs. Max konnte Springsteen nicht ausstehen und begriff nicht, was das ganze Theater sollte. Für seine Ohren war die Stimme des so genannten »Boss« irgendwo zwischen Räuspern und Kehlkopfkrebs anzusiedeln – und der perfekte Soundtrack für weiße Jungs, die mit Motorradjacke am Steuer ihres Kombis saßen. Einmal hatte er Joe gefragt, was eigentlich so toll an ihm sei. »Das ist wie mit allem, was den einen kickt und den anderen kalt lässt: Entweder man versteht’s oder man versteht’s nicht. Es liegt nicht nur an der Musik oder an der Stimme. Es geht um viel mehr. Wenn du weißt, was ich meine.« Max wusste es nicht, aber er hatte es dabei belassen. Schlechter Geschmack hatte noch keinem geschadet.
Trotzdem störte ihn der Spitzname nicht. Immerhin zeigte er, dass man Notiz von ihnen nahm. Nachdem sie beide zum Detective aufgestiegen waren, hatte sich Max das Coverfoto und den Titel des Albums auf die Innenseite des rechten Unterarms tätowieren lassen. Im Jahr darauf war dann auf dem linken Arm ein klassisches Bullentattoo gefolgt: ein Schild mit einem Totenschädel und zwei gekreuzten Revolvern, darüber das Motto »Death is Certain – Life is Not.«
Das L verdankte seinen Namen dem Grundriss des Gebäudes, in dem es sich befand, wobei man es schon von oben sehen musste, um das zu wissen. Detective Frank Nunez hatte es zum ersten Mal gesehen, als er einer Busladung Bankräuber mit dem Polizeihubschrauber durch die Innenstadt von Miami gefolgt war. Er hatte einige Freunde dazu überredet, sich gegen Rendite an der Finanzierung zu beteiligen, unter anderem auch Max und Sandra, die 20000 Dollar investiert hatten. Bis sie ihren Anteil hatten verkaufen müssen, um Max’ Anwaltskosten zu bezahlen, hatte die Bar ihnen Jahr für Jahr das Doppelte ihrer Einlage eingebracht. Bei den Geschäftsleuten und Bankern war der Laden schwer angesagt, und von Montag bis Samstag herrschte Hochbetrieb.
Von außen sah das L aus wie eine ganz normale Bar, breite Fenster mit schwarzen Läden davor und blinkende Bierreklame, die aussah wie mit neonfarbener Zahnpasta geschrieben. Es gab zwei Eingänge. Der rechte führte direkt in die Bar, einen großen, hohen Raum mit Holzfußboden. Steuerräder, Anker und Haifischharpunen, die überall an den Wänden hingen, gaben ihm ein maritimes Flair. Durch den linken gelangte man über eine Treppe hinauf in die L-Lounge, die durch eine getönte Glasscheibe von der Bar abgetrennt war, sodass man das Treiben dort ungesehen von oben verfolgen konnte. Mit den abgetrennten Sitznischen, die von rotgoldenen chinesischen Lampions schummrig beleuchtet wurden, war die Lounge ideal für erste Verabredungen und heimliche Affären. An der Theke wurden mit die besten Cocktails der Stadt serviert.
Als Max hereinkam, sah er Joe in einer Nische am Fenster sitzen. Er trug einen blauen Anzug und Krawatte. Max kam sich in Sweatshirt, Cargohosen und Turnschuhen etwas deplatziert vor.
»Lieutenant Liston?«, sagte Max und ging auf seinen Freund zu.
Joe grinste breit, seine Zähne ein liegender Halbmond in seinem dunklen Gesicht. Er stand auf. Max hatte vergessen, wie riesig er war. Um die Hüften hatte er ein paar Pfund zugelegt, und sein Gesicht war etwas runder geworden, aber noch immer war er der Albtraum eines jeden Verdächtigen.
Joe drückte Max fest an sich. Allem Bodybuilding zum Trotz ragten Max’ Schultern nicht über Joes Brustkorb hinaus. Joe klopfte ihm auf beide Arme und trat ein Stück zurück, um ihn von oben bis unten in Augenschein zu nehmen.
»Man sieht, sie haben dir zu essen gegeben«, sagte er.
»Ich habe in der Küche gearbeitet.«
»Nicht beim Friseur?«, entgegnete er und tätschelte Max den kahlen Kopf.
Sie setzten sich. Joe füllte seine Sitzbank nahezu komplett aus. Auf dem Tisch lag ein Aktenordner. Der Kellner kam. Joe bestellte eine Cola Light und einen Bourbon. Max eine normale Cola.
»Du trinkst nicht mehr?«, fragte Joe.
»Ich fahre. Und du?«
»Ich hab’s so weit
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