Voodoo
nächsten Gesprächsthema. All das sah Max an ihrer Körpersprache: steifer Rücken, beide sprungbereit, um sich auf das nächstbeste Stichwort zu stürzen. Die beiden waren an der gleichen Frau interessiert: marineblaues Kostüm, blonde Strähnchen. Ihre Freundin wusste Bescheid und schaute sich schon wieder in der Bar um.
In seinen Junggesellentagen hatte sich Max stets auf die weniger attraktive Freundin spezialisiert, weil die Gutaussehenden dran gewöhnt waren, dass man sie umgarnte, und einen am Ende des Abends mit dem Schwanz in der Hand und einer dicken Rechnung stehen ließen. Bei einer Frau, die nicht damit rechnete, angegraben zu werden, war es sehr viel wahrscheinlicher, dass sie einen ranließ. In neun von zehn Fällen hatte es funktioniert, manchmal sogar mit dem unverhofften Bonus, dass die Gutaussehende mit ihm zu flirten begann. Die meisten Frauen, mit denen er ausgegangen war, hatte er nicht sonderlich gemocht. Sie waren eine Herausforderung gewesen, ein Strich auf der Liste. Nachdem er Sandra kennengelernt hatte, hatte sich seine Einstellung komplett gewandelt. Doch jetzt, wo sie nicht mehr da war, kamen die alten Gedanken wieder.
Seit acht Jahren hatte er keinen Sex mehr gehabt, seit dem Begräbnis nicht mehr daran gedacht. Er hatte sich nicht mal einen runtergeholt. Seine Libido hatte den Laden dichtgemacht, aus Respekt. Er war Sandra treu gewesen, es hatte nur sie gegeben. Im Grunde wollte er keine andere Frau, keine Neue, nicht jetzt. Er konnte sich nicht einmal vorstellen, wie das funktionieren sollte, das ganze elende Geschwätz vorher, um sich als sensiblen Mann auszugeben, wo man doch einzig und allein deshalb auf sie zugegangen war, um sie ins Bett kriegen. Er beobachtete die Szene unter sich mit der Verachtung des Pioniers für den Nachahmer.
Joe schob ihm den Aktenordner rüber.
»Hab ein bisschen was über die Carvers aus Haiti ausgegraben«, sagte er. »Das meiste sind alte Geschichten, nichts Aktuelles. Auf dem Video sind ein paar Aufnahmen aus den Nachrichten über die Invasion. Irgendwo kommt da auch Allain Carver vor.«
»Danke, Joe«, sagte Max, nahm den Ordner und legte ihn neben sich auf die Sitzbank. »Haben wir hier auch was über die?«
»Keine Vorstrafen, aber Gustav Carver, der Vater, hat ein Haus in Coral Gables. Vor sechs Jahren wurde da eingebrochen.«
»Was wurde mitgenommen?«
»Nichts. Irgendwer ist nachts eingestiegen, hat sich einen teuren Porzellanteller geschnappt und draufgeschissen, dann hat er ihn auf dem Esstisch platziert und ist wieder abgehauen, ohne eine Spur zu hinterlassen.«
»Und die Überwachungskameras?«
» Nada . Ich hab nicht den Eindruck, dass da allzu viel ermittelt wurde. Der Bericht ist grad mal zwei Seiten lang – hat eher was von einer Beschwerde als von einer Anzeige. Wahrscheinlich ein ehemaliger Angestellter, den sie geärgert hatten.«
Max lachte. Er hatte schon von sehr viel absurderen Fällen gehört, aber der Gedanke, dass Allain Carver zum Frühstück herunterkam und das auf seinem Tisch vorfand, amüsierte ihn. Er lächelte, doch dann dachte er an Boukman, und sein Lächeln erstarb.
»Und was ist jetzt mit Solomon Boukman passiert? Als ich nach New York ging, saß er in der Todeszelle und war nur noch eine letzte Berufung von der Nadel entfernt.«
»Wir sind hier nicht in Texas«, sagte Joe. »Hier in Florida gehen die Uhren etwas langsamer. Hier kann sich ein Anwalt bis zu zwei Jahre Zeit lassen, um Berufung einzulegen, und die wandert dann noch einmal zwei Jahre durchs System. Dann dauert’s noch mal zwei Jahre, bis die Sache vor einem Richter landet. Zähl alles zusammen, und plötzlich ist es 1995. Boukmans letzte Berufung wurde abgelehnt, wie nicht anders zu erwarten war, aber …«
»Aber die haben ihn laufen lassen, Joel«, sagte Max. Er schrie fast.
»Weißt du, wie teuer ein One-Way-Ticket nach Haiti ist?«, fragte Joe. »Um die hundert Mäuse – plus Steuern. Und weißt du, was es den Staat Florida kostet, jemanden in der Todeszelle sitzen zu haben? Gott, vergiss es. Weißt du, wie viel es den Staat Florida kostet, einen Menschen hinzurichten? Tausende. Siehst du die Logik?«
»Sehen die Familien der Opfer die Logik?«, fragte Max.
Joe antwortete nicht. Max wusste, dass er sich genauso darüber ärgerte, aber ihn beschäftigte noch etwas anderes.
»Erzählst du mir auch den Rest, Joe?«
»Am Tag seiner Entlassung wurde Boukmans Zelle ausgeräumt. Und das hier gefunden«, sagte Joe und reichte Max
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