Voodoo
herrschte Hochbetrieb. Die Gäste waren betrunkener und lockerer, die Schritte beim Gang zur Toilette wurden unsicherer, die Stimmen immer lauter, genau wie die Musik. Max hörte den gedämpften Lärm durch die Glasscheibe.
Er hielt nach den zwei Managern Ausschau, um zu sehen, wie weit sie bei den beiden Frauen gekommen waren. Er sah die Blonde und einen der Männer an einem Tisch ganz hinten sitzen. Die Jacketts hatten sie ausgezogen. Der Mann hatte die Ärmel hochgekrempelt und die Krawatte abgenommen. Die Frau trug ein ärmelloses schwarzes Top. Ihre muskulösen Arme ließen Max vermuten, dass sie Personal Trainerin oder Model für Fitnessmagazine war. Oder eine Geschäftsfrau, die fleißig trainierte. Der Typ startete seinen Angriff, beugte sich über den Tisch und berührte ihre Hand. Und er brachte sie zum Lachen. Wahrscheinlich war er nicht einmal wirklich witzig, aber sie war an ihm interessiert. Ihre Freundin war gegangen, genau wie sein Nebenbuhler – wahrscheinlich getrennt. Verlierer gingen selten gemeinsam nach Hause.
Max und Joe wandten sich anderen Themen zu: wer in Pension gegangen, wer gestorben war (drei: Krebs, Kugeln, besoffen ertrunken), wer geheiratet hatte oder geschieden worden war, was im Job los war, was sich nach Rodney King alles verändert hatte. Sie lachten, lästerten, erzählten von früher. Joe berichtete von den fünfzehn Springsteen-Konzerten, die er in Max’ Abwesenheit gesehen hatte, beschränkte sich aber dankenswerterweise auf das grobe Ganze. Sie tranken noch ein paar Cola, beobachteten die Pärchen in der Lounge und redeten übers Älterwerden. Die Zeit verging schnell, und für eine ganze Weile dachte Max nicht an Boukman.
Gegen zwei Uhr war die Bar bis auf ein paar wenige Trinker leer. Das Pärchen, das Max beobachtet hatte, war gegangen.
Joe und Max gingen ebenfalls.
Draußen war es kühl, eine leichte Brise wehte. Max atmete die Luft von Miami tief ein: Seeluft, Sumpf und ein wenig Abgase.
»Wie fühlt es sich an, draußen zu sein?«, fragte Joe.
»Als würde man gehen lernen und feststellen, dass man immer noch rennen kann«, sagte Max. »Aber eins würde ich gern wissen. Wieso hast du mich nie besucht?«
»Hast du mich erwartet?«
»Nein.«
»Dich da drinnen zu sehen hätte meinen moralischen Kompass durcheinander gebracht. Ein Bulle gehört nicht in den Knast«, sagte Joe. »Außerdem habe ich mich irgendwie verantwortlich gefühlt. Ich habe dir keine Selbstbeherrschung beigebracht.«
»Man kann einem Menschen nicht seine Natur vorschreiben, Joe.«
»Sagt man. Aber man kann ihm beibringen, Sinn von Unsinn zu unterscheiden. Und das, was du damals gemacht hast, Mann, das war komplett sinnloser Unsinn.«
Wieder der väterliche Tonfall. Max war fast fünfzig, zwei Drittel seines Lebens so gut wie vorbei. Er konnte gut auf Joes Gardinenpredigten verzichten, der nur drei Jahre älter war als er, aber sich immer aufgeführt hatte, als wären es zehn. Außerdem änderte es jetzt nichts mehr. Was geschehen war, war geschehen. Und Joe war auch kein Heiliger. Als sie noch Partner gewesen waren, hatte es gegen ihn genauso viele Beschwerden wegen Gewaltanwendung gegeben wie gegen Max. Kein Mensch hatte sich darum geschert. Miami war damals Kriegsgebiet gewesen. Die Stadt hatte Gewalt mit Gewalt beantwortet.
»Freunde, Joe?«
»Immer.«
Sie umarmten einander.
»Wir sehen uns, wenn ich wieder da bin.«
»Aber bitte an einem Stück, Mann. Anders will ich dich nicht sehen.«
»Wirst du nicht. Grüß die Kleinen von mir.«
»Pass auf dich auf, Bruder«, sagte Joe.
Sie gingen ihrer getrennten Wege.
Als Max die Tür seines gemieteten Honda aufschloss, wurde ihm bewusst, dass Joe ihn zum ersten Mal in fünfundzwanzig Jahren Bruder genannt hatte. Sie waren beste Freunde, aber bei seinen Zuneigungsbekundungen war Joe Rassist.
In dem Moment schwante Max, dass es heiß werden könnte in Haiti.
Auf dem Weg zurück nach Kendall dachte Max über Solomon Boukman nach, und die Wut kochte wieder in ihm hoch. Er fuhr rechts ran und stellte den Motor ab. Dann atmete er tief durch und ermahnte sich, sich auf Charlie Carver zu konzentrieren und alles andere beiseite zu lassen. Boukman war in Haiti. Er war erst nach Charlies Verschwinden zurückgekehrt, also konnte er nichts damit zu tun haben.
Egal, dachte Max. Wenn er ihn fand, würde er ihn töten. Er musste es tun. Sonst würde Boukman ihn umbringen.
4
Im Hotel stieg Max unter die Dusche und versuchte dann zu schlafen,
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