Voodoo
Legende nicht.«
»Tonton Clarinette?«
»Ja, wie ich bereits sagte, Tonton Clarinette ist real. Tonton Clarinette ist Monsieur Carver, Gustav Carver.«
»Aber wenn das alles so geheim ist, wie ist dann die Legende entstanden?«
»Einigen Kindern ist es im Laufe der Jahre gelungen zu fliehen«, sagte sie ruhig. »Nicht von uns, aber von ihren Herren. Drei sind noch immer auf freiem Fuß.«
»Und einer davon heißt Boris Gaspésie?«
»Ja. Woher wissen Sie das?«
»Ich frage, Sie antworten. Wer sind die anderen?«
»Der Junge und zwei Mädchen: Lita Ravix und Noëlle Perrin.«
Max notierte sich die beiden Namen. Er war fertig mit ihr. Er sah sie noch einmal lange an, suchte in ihren rattengleichen Zügen nach einem Hinweis auf Reue oder Scham über das, was sie getan hatte. Es war nichts dergleichen zu erkennen. Es war niemals da gewesen.
Er nickte Paul zu, um ihm zu verstehen zu geben, dass er fertig war, dann stand er auf und ging aus dem Raum.
53
Max lief auf der Straße vor dem Haus auf und ab, von den vielen neuen Erkenntnissen brummte ihm der Schädel.
Er würde sämtliches Beweismaterial durchgehen müssen, und vor allem musste er Gustav Carver damit konfrontieren, um ganz sicherzugehen – obwohl er überzeugt war, dass Eloise die Wahrheit sagte. Sie hatte nichts Verlogenes an sich, weil ihr sämtliche Instinkte des Selbstschutzes brutal ausgetrieben worden waren. Wer log, stellte sich meist selbst mit Ungereimtheiten und unwahrscheinlichen Behauptungen eine Falle, oft in den kleinsten Details, die wie lose Fäden waren, die den ganzen Wandteppich aufribbelten, wenn man daran zog. Doch was Eloise ihm erzählt hatte, passte von vorne bis hinten zusammen, und alles zeigte in dieselbe Richtung.
Nur eines blieb ihm schleierhaft: Was hatte sich Gustav dabei gedacht, einen Außenstehenden mit den Ermittlungen zu Charlies Entführung zu betreuen? War ihm nie der Gedanke gekommen, dass sie dabei auch auf seinen Kinderhandel stoßen könnten? Hatte er dieses Risiko nicht wenigstens in Betracht gezogen?
Natürlich hatte er, dachte Max. Man hielt sich nicht so lange an der Spitze wie Gustav, wenn man ständig zu nah an die Sonne flog. Menschen wie Gustav gingen niemals blind ein Risiko ein, die Risiken, auf die sie sich einließen, waren wohlabgewogen. Sie guckten nicht einfach nur hin, bevor sie sprangen – sie kannten jeden Millimeter des Bodens, auf dem sie landen würden.
Andererseits hatte Carver, wie alle absoluten Tyrannen, immer seinen Willen gekriegt. Er hatte sich nie mit einer Herausforderung konfrontiert gesehen, die er nicht gemeistert hatte. Was würde also passieren, wenn ihm jemand auf die Schliche käme? Was konnte eine einzelne Person gegen Carver und sein Netzwerk ausrichten, das, wenn es auch nur halb so mächtig war, wie Eloise behauptete, diese Person ohne Probleme vom Antlitz dieses Planeten tilgen konnte? Carver hielt sich für unbesiegbar, und das mit gutem Grund.
Steckte Gustav Carver auch hinter der Sache mit Beeson und Medd? Waren sie ihm zu nahe gekommen? Nein. Max glaubte das nicht. Zumindest nicht Beeson, auf keinen Fall. Beeson hätte Carver zu erpressen versucht, und Carver hätte ihn umbringen lassen. Warum ihn am Leben lassen, damit er sein Wissen weitertragen konnte?
Aber zurück zu dem Grund, weswegen er eigentlich hier war: Charlie Carver. Was war mit ihm passiert?
Er wusste es nicht mit Sicherheit, aber er vermutete, dass er tot war.
Und Eddie Faustin? Welche Rolle hatte der gespielt? Fest stand, dass er an dem Tag, an dem er starb, den Jungen hatte entführen wollen. Daran konnte es keinen Zweifel geben. Faustin hatte an einem vereinbarten Treffpunkt auf die Entführer gewartet, die Charlie hatten mitnehmen sollen, doch dann war der Mob aufgetaucht, und alles war gehörig schiefgelaufen.
Oder doch nicht?
Vielleicht war Eddie in die Falle gelockt worden, vielleicht hatten die Entführer ein doppeltes Spiel gespielt. Möglich. Sie hatten die Leute dafür bezahlt, den Wagen anzugreifen und den ehemaligen Macoute zu ermorden. Das würde Sinn ergeben, wenn die Entführer unerkannt bleiben und jeden Verdacht von sich ablenken wollten.
Aber Codada hatte gesagt, Faustin sei Gustav Carver treu ergeben gewesen, habe ihn geliebt wie einen Vater. Warum sollte er ihn verraten? Was hatten die Entführer ihm geboten? Aber vielleicht hatten sie ihm auch gar nichts geboten. Vielleicht hatten sie etwas gegen ihn in der Hand. Was bei einem Ex-Macoute mit Blut an den Händen,
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