Voodoo
und drohte zu fallen, Max packte ihn und hielt ihn fest. Mit Max’ Hilfe kam Gustav wieder ins Gleichgewicht, dann sah er die Nachwirkungen eines mittleren Schocks in Max’ Gesicht und fing an zu kichern, beinah kokett. Er roch heftig nach Alkohol, Zigaretten und einem moschuslastigen Eau de Cologne.
Max bemerkte den großen Weihnachtsbaum in der Zimmerecke, nicht weit von Judith Carvers Portrait. Er war mit einer LED-Lichterkette bestückt, die zwischen den Nadeln verborgen war und kontinuierlich von Rot über Lila zu Blau die Farbe wechselte, bevor sie für einen kurzen Moment bei Weiß stehen blieb und dann wieder von vorn anfing. Die übrige Dekoration bestand aus silbern und golden glitzernden Bändern, baumelnden Kugeln und einem Goldstern auf der Spitze. So viel Kitsch in Carvers ansonsten so geschmackvoller Umgebung zu sehen war eine echte Überraschung.
Gustav schien Max’ Gedanken gelesen zu haben.
»Der ist für die Dienstboten. Die sind ganz fasziniert von diesen dämlichen Lichtern, sie sind halt einfach gestrickt. Einmal im Jahr überlasse ich ihnen das Wohnzimmer, ich kaufe Geschenke für sie und ihre Kinder und lege sie unter den Baum. Mögen Sie Weihnachten, Max?«
»Ich bin mir da nicht mehr so sicher, Mr. Carver«, sagte Max ruhig.
»Ich hasse es. Judith ist an Weihnachten gestorben.«
Max schwieg – nicht aus Unbeholfenheit, sondern weil sich nichts in ihm für den alten Mann regte.
Gustav musterte ihn eindringlich. Er zog die Stirn kraus, seine Augen wurden schmaler, und an den Augenwinkeln bildeten sich Falten. Sein Ausdruck hatte etwas Feindselig-Misstrauisches. Max erwiderte ungerührt seinen Blick. Er ließ sich nichts anderes anmerken als seine Gleichgültigkeit.
»Wie wär’s mit einem Drink?« Es war mehr ein Befehl als ein Angebot. Carver schwang seinen Gehstock über die Sessel und Sofas. »Setzen wir uns.«
Er ließ sich erst mit der rechten, dann mit der linken Hinterbacke auf dem Sessel nieder, seine Knochen knackten und knarrten vor Anstrengung. Max bot sich nicht an, ihm zu helfen.
Gustav klatschte in die Hände und rief nach einem Dienstboten. Ein Mädchen in schwarzweißer Uniform trat aus den Schatten neben der Tür, wo sie wahrscheinlich schon die ganze Zeit gestanden hatte. Max hatte sie bis dahin weder gesehen noch ihre Anwesenheit gespürt. Carver orderte Whiskey.
Max setzte sich dicht neben ihn.
Carver beugte sich vor und nahm ein silbernes Etui mit filterlosen Zigaretten vom Tisch. Er zog eine heraus, legte das Etui zurück und griff nach dem Aschenbecher aus Rauchglas, in dem ein silbernes Feuerzeug lag. Er steckte sich die Zigarette an, nahm einen tiefen Zug und behielt den Rauch einige Sekunden in der Lunge, bevor er ihn langsam ausstieß.
»Aus der Dominikanischen Republik«, sagte Carver und hielt die Zigarette hoch. »Früher wurden die noch hier hergestellt. Von Hand gerollt. Es gab einen Laden in Port-au-Prince, der von zwei Frauen geführt wurde, zwei ehemaligen Nonnen. Ein winziger Laden namens Le Tabac . Die beiden haben den ganzen Tag im Schaufenster gesessen und Zigaretten gerollt. Einmal habe ich ihnen eine ganze Stunde lang zugeschaut. Ich habe hinten in meinem Wagen gesessen und sie bei der Arbeit beobachtet. Völlige Konzentration, völlige Hingabe. Vollendete Kunstfertigkeit und Geschick. Ständig sind Kunden hereingekommen und haben sie unterbrochen, um ein paar Zigaretten zu kaufen. Die eine hat die Kunden bedient, die andere hat weiter gerollt. Und ich? Ich habe immer gleich zweihundert Stück gekauft. Das Unglaubliche ist, dass alle Zigaretten vollkommen gleich waren. Man konnte die eine nicht von der anderen unterscheiden. Unglaublich. So viel Präzision und Hingabe. Ich habe alle meine Angestellten hingeschickt, sie sollten draußen vor dem Laden sitzen und den beiden Frauen bei der Arbeit zusehen. Sie sollten Tugenden wie Fleiß und ein Auge fürs Detail lernen, wenn sie für mich arbeiten wollten.
Die Zigaretten waren wunderbar. Sie hatten einen tiefen, schweren und äußerst befriedigenden Rauch. Ich möchte behaupten, es waren die besten, die ich je geraucht habe. Diese hier sind nicht schlecht, aber mit dem Original nicht zu vergleichen.«
»Was ist aus dem Laden geworden?«, fragte Max, eher aus Höflichkeit denn aus Interesse. Er musste husten und sich räuspern, um die Frage herauszubekommen. Er wurde nervös. Eine dunkle Energie raste ihm durch den Körper, seine Muskeln spannten sich, sein Herz schlug immer lauter und
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