Voodoo
wusste, dass er nicht mein war. Sie hat versucht, es vor mir zu verbergen, aber ich wusste es. Ich wusste, dass er nicht mein war.«
»Woher?«, fragte Max. Damit hatte er nicht gerechnet.
»Nicht ganz und gar mein«, fuhr Carver im gleichen Tonfall fort, als hätte er Max’ Frage nicht gehört. »Autismus. Eine besitzergreifende Krankheit. Sie behält ein kleines Stück des Menschen für sich und gibt niemals preis, was sie einmal hat.«
»Woher wussten Sie das?«
»Oh, es gab viele Hinweise«, sagte Carver. »Abweichende Verhaltensmuster, nicht ganz der Norm entsprechend. Ich kenne mich aus mit Kindern, schon vergessen?«
Max zog den Briefumschlag, den Pauls Männer ihm gegeben hatten, aus der Tasche. Er holte die beiden Kopien heraus und reichte sie dem Alten.
Dann stand er auf und trat ein paar Schritte beiseite.
Gustav Carver schniefte und wischte sich die Tränen aus den Augen. Er faltete die Blätter auseinander und betrachtete das erste. Er blinzelte und schnaufte. Er schaute noch einmal genauer hin, sein Mund öffnete sich leicht zu einem nachdenklichen Grinsen, das immer noch voller Traurigkeit war. Er tauschte die Seiten – erste, zweite, zweite, erste – und las eine nach der anderen durch. Dann hielt er das eine Blatt in der linken, das andere in der rechten Hand und schaute von einem zum anderen, hin und her, seine Augen wurden immer kleiner und kleiner, bis sie hinter den immer schmaler werdenden Sehschlitzen praktisch nicht mehr zu erkennen waren. Die schlaffen Falten seines fleischigen Gesichts fingen an zu beben, er lief vom Kiefer bis zu den Augen hochrot an. Er straffte sich und atmete tief durch.
Dann schaute er Max gerade in die Augen und knüllte die Blätter zusammen. Als er sie auf den Boden fallen ließ, waren sie zu kleinen Kügelchen zusammengepresst.
Auch Max hatte den Umschlag geöffnet und dort Kopien des Vaterschaftstests gefunden, der bewies, dass Vincent Paul Charlie Carvers Vater war. Paul hatte eine handgeschriebene Karte beigefügt: Max , geben Sie das Gustav Carver , wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist .
Carver sackte in seinem Sessel zusammen. Er war aschfahl geworden, seine Augen leer, die Kampfeslust hatte ihn verlassen: ein Monument, das mit lautem Krachen zu Boden gestürzt war. Hätte er nicht mit eigenen Ohren die Worte von Carvers Lippen gehört, die er gehört hatte, Max hätte Mitleid mit ihm gehabt.
Keiner von beiden sagte ein Wort. Einen sehr langen und langsamen Moment lang sahen sie einander schweigend an. Gustav Carvers Blick war gewichtslos und leer, wie der eines Toten.
»Was haben Sie mit mir vor, Mingus?«, fragte er, und seine Stimme hatte nichts mehr von ihrer Autorität und dem Donner, war kaum mehr als ein Rasseln in seiner Kehle.
»Sie mitnehmen.«
»Mitnehmen?« Carver zog die Stirn in Falten. »Um mich wohin zu bringen? Es gibt hier keine Gefängnisse.«
»Vincent Paul möchte mit Ihnen reden.«
»Mit mir reden!«, lachte Carver. »Er will mich umbringen, Mingus! Außerdem werde ich mit diesem … diesem Bauerntölpel sowieso kein Wort wechseln.«
»Das bleibt Ihnen überlassen, Mr. Carver.« Max löste die Handschellen von seinem Gürtel.
»Einen Moment noch.« Carver hob die Hand. »Kann ich noch eine letzte Zigarette rauchen und einen letzten Whiskey trinken?«
»Nur zu«, sagte Max.
Carver schenkte sich einen Dreifachen ein und steckte sich eine filterlose Zigarette an.
Max ließ sich wieder in seinem Sessel nieder.
»Mr. Carver? Da ist noch eines, das ich nicht verstehe. Bei den Kontakten, die Sie haben, warum haben Sie Vincent Paul da nie hochgenommen?«
»Weil ich der Einzige bin, der das tun könnte. Alle Welt hätte gewusst, dass ich es war. Es hätte einen Bürgerkrieg gegeben«, erklärte er.
Er zog an der Zigarette und nahm einen Schluck Whiskey.
»Ich habe noch nie mit Filter geraucht. Die ruinieren den Geschmack.« Carver blies auf die orangefarbene Glut und lachte. »Glauben Sie, dass es in der Hölle Zigaretten gibt, Mingus?«
»Keine Ahnung, Mr. Carver. Ich rauche nicht.«
»Meinen Sie, Sie könnten mir vielleicht einen kleinen Gefallen tun?«, fragte Carver.
»Was?«
»Könnte ich selbst aus meinem Haus gehen? Allein? Nicht zwischen diesen beiden … Gorillas?« Er warf einen kurzen Blick zu den Männern an der Tür.
»Ja, aber ich muss Ihnen Handschellen anlegen. Vorsichtshalber.«
Carver drückte die Zigarette aus, leerte sein Glas und hielt Max die Hände hin, damit er ihm die Handschellen
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