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Voodoo

Voodoo

Titel: Voodoo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stone
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Tafelbild von der Geburt Christi. Mit vor dem Herzen gefalteten Händen kam sie auf den Betrachter zu, gefolgt von zwei Engeln, die den Saum ihres Umhangs hielten. Hinter ihr war eine offene Scheune mit Strohdach zu sehen, eine Art überdachte Hütte ohne Wände, nicht unähnlich denen, die er in der Umgebung von Pétionville durch seine Autofenster gesehen hatte.
    Neben und über den Flügeln des Tafelbilds schwebten Engel, die Instrumente spielten oder Girlanden in die Szene unter sich hielten, um anzudeuten, dass das Leben Jesu von der Geburt bis zur Auferstehung ein einziger Akt war.
    Was jetzt? Wohin sollte er jetzt gehen?
    Ganz unmittelbar sah er sich mit den gleichen Problemen konfrontiert, die schon vor seinem Ausflug nach Haiti da gewesen waren: Er musste in sein Haus zurückkehren und sich all den glücklichen Erinnerungen stellen, die hinter der Tür auf ihn lauerten und ihn von allen Seiten anspringen würden, sobald er das Haus betrat, eine Willkommensparty der Geister. Wieder dachte er an Sandra, und die Trauer stieg ihm als heißes, feuchtes Brennen in die Augen und die Nase.
    Mit der Rückkehr nach Miami würde seine Karriere als Privatdetektiv beendet sein. Alles, was er konnte und was er irgendwie immer noch weitermachen wollte – trotz allem, was er gesehen hatte, trotz all der Gefahren, denen er begegnet war –, würde vorbei sein. Und trotz der Angst, dass er vielleicht nicht mehr so gut war wie früher, dass er in diesem Fall vielleicht etwas übersehen hatte.
    Was würde er aus Haiti mitnehmen? Was hatte er gewonnen? Geld nicht, und auch nicht die Zufriedenheit über einen erledigten Auftrag, denn zum ersten Mal in seiner Karriere hatte er einen Fall nicht gelöst. Er ließ eine unerledigte Aufgabe zurück. Das Gesicht des kleinen Jungen würde ihn bis ans Ende seiner Tage verfolgen. Er hatte keine Ahnung, was mit ihm geschehen war, im Grunde war er genauso schlau wie am Anfang. Alles nur Spekulationen, Mutmaßungen, Gerüchte. Armer Junge. Ein doppelt Unschuldiger.
    Er hatte dazu beigetragen, einen internationalen Kinderschänderring zu sprengen – oder zumindest hatte er den Anstoß dazu gegeben. Er hatte zahllosen Kindern das Leben gerettet und ihren Eltern den Vorgeschmack des Todes zu Lebzeiten erspart, hatte sie davor bewahrt, mit einem vermissten Kind weiterleben zu müssen. Aber was würde aus den Kindern werden, die sie finden und befreien würden? Konnten sie je geheilt werden? Konnte der Prozess umgekehrt werden, konnte man ihnen zurückgeben, was ihnen genommen worden war? Abwarten und Tee trinken.
    Abwarten und Tee trinken: Nicht mehr und nicht weniger hatte er ab jetzt von seinem Leben zu erwarten. Der Gedanke erschreckte und deprimierte ihn.
    Eine Stunde später ging er aus der Kirche heraus, fing in der Eingangstür eine Frau ab, die gerade hereinkam, und fragte sie nach dem Namen der Kirche.
    » La Cathédrale Sainte-Trinité «, lautete die Antwort.
    Draußen wurde er von der Sonne geblendet, die Hitze und der Lärm verwirrten ihn, während er durch die Straßen wanderte und sich immer weiter und weiter von der kühlen, ruhigen, immer währenden Dunkelheit der Kirche entfernte.
    Er fasste sich wieder und ging zurück zu seinem Wagen. Der war weg. Glasstücke auf dem Gehweg verrieten ihm, was passiert war.
    Es war ihm egal. Genau genommen war es ihm sogar scheißegal.
    Er ging zurück zum Marché de Fer, vor dem eine lange Reihe von Tap-Taps stand und auf Kundschaft wartete: Leichenwagen, Coupés und Limousinen aus den 1960ern mit voodoolastigen psychedelischen Malereien auf der Karosse. Er fragte den Fahrer ganz vorn in der Reihe, ob er nach Pétionville fahre. Der nickte und bedeutete ihm einzusteigen.
    Sie warteten ganze vierzig Minuten, bis der Wagen voll war und die Leuten ihre Körbe mit Gemüse, Reis und Bohnen, lebenden Hühnern und nassen, toten Fischen verstaut hatten. Max wurde in die Ecke der Sitzbank gedrängt, eine dicke Frau saß ihm praktisch auf dem Schoß, er war begraben unter dem halben Dutzend Menschen, das sich auf die Rückbank zwängte.
    Als der Fahrer so weit war, ging es los. Auf Schleichwegen, wo ihm nur Menschen und Viehzeug die Straße streitig machten, fuhr er aus der Hauptstadt hinaus. Im Wagen ging es hoch her, jeder schien jeden zu kennen, und alle plauderten mit allen – alle bis auf Max, der nicht ein einziges Wort verstand.

    Er packte seinen Koffer und aß in einem Restaurant unweit vom La Coupole zu Abend.
    Er bestellte Reis, Fisch und

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