Voodoo
Grinsen, schwarzer Sonnenbrille und Melone, einem Federkiel in der einen und einem Champagnerglas in der anderen Hand –, darunter stand eine Telefonnummer. Diaz meinte, man würde ihn nach einem Passwort fragen, wenn er dort anrief, aber auf Max’ Nachfrage musste er zugeben, dass er das leider vergessen hatte.
Gegen drei Uhr morgens machte sich Max auf den Heimweg und stand zwanzig Minuten später vor seinem Tor.
Er ging ins Wohnzimmer, nahm das Holster ab und ließ sich in einen Sessel fallen. Er sah, dass das Holster nicht gesichert war. Er ließ es nie offen – niemals –, seit ihm als Neuling einmal ein Jugendlicher die Waffe weggeschnappt hatte.
Er nahm die Beretta heraus und begutachtete sie. Die Patronen waren vollzählig. Es war nicht damit geschossen worden.
Anscheinend wurde er vergesslich. Es war ein langer Tag gewesen, ein bedeutungsvoller Tag.
Er spielte mit dem Gedanken, aufzustehen und die Reise ins Bett zu vollenden, aber das schien ihm viel zu anstrengend. Viel zu weit.
Er schloss die Augen und schlief ein.
57
Am näch sten Tag rief Allain bei ihm an. Er wollte ihn noch am Nachmittag sehen.
Allain war bleich, seine leichenfahle Haut hatte einen bläulichen Sc himmer, er sah wächsern aus. Auf der unteren Hälfte seines Gesichts hatten sich Stoppel breit gemacht, und die tiefen Ringe unter seinen Augen zogen sich bis zu den Wangenknochen. Max sah, dass er in seinen Kleidern geschlafen hatte. Er trug ein Jackett, um das arg zerknitterte Hemd mit dem zerknautschten Kragen zu verbergen, dessen Ärmel er nicht heruntergerollt hatte. Die Krawatte hing schief, der oberste Hemdknopf stand offen. Er hatte sich das Haar nach hinten gekämmt, aber es fehlte eindeutig an Brillantine, einige Strähnen lösten sich bereits aus dem Schopf und standen an den Seiten in alle Richtungen ab. Es war, als hätte jemand den alten Allain genommen, den ersten, dem Max begegnet war, und mit einer Drahtbürste bearbeitet. Es war noch immer alles da, aber der Glanz war verloren gegangen, die Bügelfalten waren geplättet und sämtliche Kanten stumpf geworden.
Sie saßen sich in einem Besprechungszimmer in der obersten Etage an einem runden Tisch gegenüber. Durch das graue Rauchglasfenster bot sich ein wunderbarer Blick auf das Meer. Max glaubte, dass in der Karaffe, die vor ihm stand, Wasser war. Doch als er sich einschenkte, schlugen ihm Alkoholdämpfe entgegen. Er probierte. Purer Wodka. Allain hatte sein Glas schon fast geleert. Es war drei Uhr nachmittags.
»Verzeihung«, sagte Allain verlegen. »Ich vergaß.«
Er war nicht betrunken.
Max wollte herausfinden, was Allain von den Aktivitäten seines Vaters gewusst hatte. Dazu wählte er den sanften Weg, den Polizisten bei manchen Verdächtigen anwandten, indem sie sie in eine scheinbar lockere, informelle Unterhaltung verwickelten. Der Trick bestand darin, im Laufe des Gesprächs immer wieder auf unterschiedliche Art die gleichen Fragen zu stellen.
Allain hatte Max’ Flugticket auf dem Tisch bereitgelegt. Er würde am nächsten Tag mit dem 11:30-Uhr-Flieger nach Miami zurückkehren.
»Chantale wird Sie fahren«, sagte Allain.
»Wo ist sie?«
»Ihre Mutter ist am Dienstag verstorben. Sie hat ihre Asche in ihr Heimatdorf gebracht.«
»Das tut mir leid zu hören«, sagte Max. »Weiß sie, was passiert ist?«
»Ja. Teilweise«, sagte Allain. »Ich habe ihr nicht alle Einzelheiten erzählt. Und ich wäre Ihnen dankbar, wenn auch Sie die für sich behalten könnten.«
»Natürlich.«
Max lenkte das Gespräch auf das Gebäude in La Gonâve. Allain erzählte ihm, was dort gefunden worden war, und sein Gesicht spiegelte blankes Entsetzen, während er die Einzelheiten herunterleierte. Irgendwann konnte er nicht mehr weiterreden und brach weinend zusammen.
Als er sich wieder gefangen hatte, führte Max seine Befragung fort. Hatte sein Vater ihm gegenüber nie von La Go-Nav gesprochen? Nein, nie. Hatte sein Vater ihm je auf der Klarinette vorgespielt? Nein, aber er wusste, dass er Klarinette spielte. Er war auch ein halbwegs talentierter Trompeter. Hatte er sich je gefragt, warum sein Vater über all diese weit verzweigten Geschäftskontakte verfügte? Nein, warum sollte er? Die Carvers waren wichtige Leute in Haiti. Er erinnerte sich, dass er Jimmy Carter kennengelernt hatte, bevor der zum Präsidentschaftskandidaten gekürt worden war. In Haiti? Nein, in Georgia. Sein Vater hatte mit Carter ein Geschäft abgeschlossen. Er wollte Carters Erdnüsse
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