Voodoo
gesehen. Und ich glaube nicht, dass sich daran etwas ändern wird.«
»Sie mögen uns nicht besonders, wie?«
»Ich weiß nicht, was Ihre Landsleute hier zu tun glauben, aber besser macht es die Lage jedenfalls nicht.«
»Es geht doch nichts über einen guten Start«, sagte Max und schaute aus dem Fenster.
Zwanzig Minuten später kamen sie in die erste Stadt, eine staubige Ansammlung rissiger, maroder Gebäude und Straßen, die noch schlechter waren als die bisherigen.
Der Landcruiser verlangsamte die Fahrt, als sie in die Hauptstraße einbogen, die voller Menschen war: Arme in den Kleidern internationaler Wohltätigkeit, die ihnen von Hüften und Schultern rutschten, dicke Hornhaut an den nackten, deformierten Füßen. Alle bewegten sich in einem Trott, der mehr von Gewohnheit denn von Eile oder Zweck diktiert schien. Eine geschlagene Armee, ein zerbrochenes Volk beim langsamen Marsch in eine nicht vorhandene Zukunft. Das hier war Haiti, kaum einen Schritt von der Sklaverei entfernt. Viele schoben grob zusammengeschusterte Karren aus Holzlatten, Wellblech und alten, sandgefüllten Reifen vor sich her, andere trugen riesige geflochtene Körbe und alte Koffer auf dem Kopf oder den Schultern. Die Tiere mischten sich fröhlich unter die Menschen, sie waren ihresgleichen: schwarze Schweine, hechelnde Hunde, Esel, abgemagerte Ziegen, Kühe mit hervorstehenden Rippen, Hühner. Eine solche Armut hatte Max bisher nur im Fernsehen gesehen, normalerweise in Berichten über ein von einer Hungersnot heimgesuchtes Land in Afrika oder über südamerikanische Slums. Auch in Amerika hatte er Armut gesehen, aber nicht so.
Sein Ständer war verschwunden.
»Das ist Pétionville«, sagte Chantale. »Für die Dauer Ihres Aufenthalts hier Ihr neues Zuhause.«
Sie fuhren einen steilen Berg hinauf, bogen links ab und rollten langsam über eine mit Schlaglöchern übersäte Seitenstraße an hohen, weiß getünchten Häusern vorbei. Am Ende der Straße, wo sie im Bogen wieder hinunter ins Zentrum von Pétionville führte, standen zwei Palmen, die das Tor zu einer Auffahrt flankierten. »Impasse Carver«, Sackgasse Carver, war in schwarzen Buchstaben auf die beiden Stämme gemalt.
Chantale bog in die Auffahrt ein, wo es dunkel war, weil der Weg zu beiden Seiten von Palmen gesäumt wurde, die die hohen Mauern verdeckten. Ihre Blätter verschränkten sich unter dem Himmel, sodass ein grünes, unterwasserartiges Dämmerlicht herrschte, das nur hier und da von scharfen Sonnenstrahlen durchschnitten wurde. Der Straßenbelag war glatt und eben, nach den bisherigen Holperstrecken eine echte Erleichterung.
Max’ Haus lag am Ende der Auffahrt. Das Tor stand offen, und Chantale rollte auf den gepflasterten Hof, der ebenfalls von Palmen umstanden war. Dahinter sah Max das Haus, ein einstöckiges, orangefarbenes Gebäude mit spitzem Wellblechdach. Ein halbes Dutzend breite Steinstufen führten auf eine Veranda. An den Hauswänden wuchsen Bougainvilleen und Oleander.
Chantale parkte den Wagen. Kurz darauf kamen die Leibwächter auf den Hof gefahren.
»Die Carvers haben Sie für heute zum Abendessen eingeladen. Man wird Sie gegen acht abholen«, sagte sie.
»Werden Sie auch da sein?«
»Nein, werde ich nicht. Kommen Sie, ich zeige Ihnen das Haus.«
Sie führte ihn herum wie eine Maklerin einen Käufer, der sein erstes Eigenheim erwerben will, sie redete mehr als nötig und geriet über diverse Einbauten und Geräte in regelrechte Verzückung. Das Haus war klein: zwei Schlafzimmer, ein Wohnzimmer, Küche und Bad. Es war blitzblank, die Bodenfliesen frisch gebohnert, der Geruch von Seife und Minze hing in der Luft.
Als sie ihm alles gezeigt hatte, empfahl sie ihm, einen Spaziergang durch den Garten zu machen, und verabschiedete sich mit einem Händedruck und einem Lächeln, die weiterhin durch und durch professionell waren, wobei er glaubte, auch ein oder zwei Grad Wärme darin entdeckt zu haben. Oder missdeutete er die Zeichen? War das nur Wunschdenken, die Fantasien eines Witwers, der seit acht Jahren keinen Sex gehabt hatte und schon bei der kleinsten Berührung einer schönen Frau in Wallung geriet?
9
Die Dunkelheit kam schnell in Haiti. Es war später Nachmittag, noch immer taghell, und im nächsten Moment wurde es dunkel, so plötzlich, als hätte jemand einen Schalter umgelegt.
Max hatte sich im Garten hinter dem Haus umgesehen. Es gab dort einen perfekt angelegten und makellos gepflegten, japanisch angehauchten Steingarten. Ein
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