Voodoo
Honig-, Galia- und Wassermelonenstücke in Form von Schneckenhäusern, kleinen Quadraten, Sternchen und Dreiecken, die in die Ecken des Kreuzes platziert waren.
Das Esszimmer, das genau wie das Wohnzimmer in Schwarz und Weiß gefliest war, wurde von zwei riesigen Kerzenleuchtern erhellt. In der Mitte stand ein gewaltiger Tisch, der vierundzwanzig Personen Platz bot. An der Wand links ein Portrait von Judith. Gesicht und Oberkörper schwebten über dem Kopfende des Tisches, sodass ihr Abbild den Platz einnahm, an dem sie früher vermutlich in Fleisch und Blut gesessen hatte. Auf dem Tisch drei Vasen mit künstlichen Lilien. Max und die Carvers setzten sich zusammen ans andere Ende. Gustav nahm den Ehrenplatz ein, Francesca saß Allain gegenüber, Max neben ihr.
Max schaute auf sein Gedeck hinab. Er war auf fremdem Terrain gelandet. Mit Förmlichkeiten und Etikette hatte er nicht viel am Hut. Abgesehen von den Restaurants, in die er seine Frau und seine Freundinnen ausgeführt hatte, hatte er so gut wie nie an formelleren Essen teilgenommen, außer vielleicht an den Polizeibällen, die eher wie Studentenpartys waren und meist in wilde Prügeleien und unappetitliche Fleischskulpturwettbewerbe ausarteten.
Während sich Max an dem Schinken abarbeitete, beobachtete er die Carvers. Sie waren noch bei der Melone. Alle aßen schweigend, ohne einander anzusehen. Das Klappern des Bestecks auf Porzellan war das einzige Geräusch in dem riesigen Esszimmer. Gustav schaute nicht von seinem Teller hoch. Max sah, wie die Gabel in seiner Hand zitterte, wenn er sie zum Mund führte. Allain stocherte in seinem Essen herum, als versuchte er, eine fliehende Ameise mit einer Bleistiftspitze zu erledigen. Er führte die Fruchtstücke zu seinem lippenlosen Mund und schnappte danach wie eine Eidechse nach einer Fliege. Francesca hielt das Besteck wie Stricknadeln und schnitt das Obst in winzige Stücke, die sie sich in den Mund steckte, ohne ihn wirklich zu öffnen. Max fiel auf, wie dünn und blass und aderlos ihre Arme waren. Er sah, dass auch sie zitterte, ein nervöser Tremor, Sorgen, die sie innerlich aufwühlten. Er warf einen Blick zu Allain und zurück zu ihr. Keine Chemie. Nichts mehr da. Getrennte Schlafzimmer? Unglückliche Ehe. Stritten sie sich noch, oder war nur noch Schweigen? Es ging nicht nur um den Jungen. Sie waren ein Paar, das zusammenblieb wie zwei Fliegen auf süßem Sirup. Max war sich sicher, dass Carver jemand anderen hatte. Er machte sich zurecht, legte Wert auf sein Äußeres, sah gut aus. Francesca hatte resigniert. Arme Frau.
»Wie lange leben Sie schon in Haiti, Mrs. Carver?«, fragte Max, und seine Stimme hallte durch den Raum. Vater und Sohn sahen erst ihn, dann Francesca an.
»Zu lange«, sagte sie hastig. Es war kaum mehr als ein Flüstern, als wollte sie ihm zu verstehen geben, dass er sie besser nicht ansprechen sollte. Sie drehte nicht den Kopf, um ihn anzusehen, sondern warf ihm nur aus den Augenwinkeln einen kurzen Blick zu.
Mit einem lauten, harten Geräusch schluckte Max ein Stück Schinken hinunter. Es tat in der Kehle weh. Er hatte noch eine Scheibe vor sich, aber er ließ sie liegen.
»Also, Max, erzählen Sie mal, wie war’s im Gefängnis?«, bellte Gustav über den Tisch.
»Vater!« Allain schnappte ob der Direktheit und Indiskretion seines Vaters nach Luft.
»Es macht mir nichts aus, darüber zu sprechen«, beruhigte ihn Max. Er hatte damit gerechnet, dass der Senior ihn nach seiner Vergangenheit fragen würde.
»Ich hätte den Garcia-Fall nicht übernehmen sollen«, fing er an. »Das war alles viel zu nah, zu persönlich. Meine Frau und ich, wir kannten die Familie. Wir waren mit ihnen befreundet. Ursprünglich waren es Freunde meiner Frau, dann auch meine. Wir haben ihre Tochter Manuela manchmal gehütet.«
In diesem Moment sah er sie wieder vor sich. Vier Jahre alt, ihr Gesicht zeigte erste Züge der Erwachsenen. Adlernase, braune Augen, braune Locken, unbesonnenes Lächeln, ununterbrochen plappernd, eine kleine Inka. Sie hatte Sandra geliebt, hatte »Tante« zu ihr gesagt. Manchmal wollte sie bei ihnen übernachten, auch wenn ihre Eltern zu Hause waren.
»Richard und Luisa besaßen alles, wovon die meisten Menschen träumen. Sie waren Millionäre. Seit vielen Jahren hatten sie sich ein Kind gewünscht, aber es hatte immer Komplikationen gegeben. Luisa hatte drei Fehlgeburten, und der Arzt hatte ihr gesagt, sie könne nicht mehr schwanger werden. Als dann Manuela kam, war es
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