Voodoo
Glas mit Eis und einer Zitronenscheibe, das einsam und allein mitten auf einem runden Silbertablett thronte.
Max nahm das Glas und bedankte sich mit einem Nicken und einem Lächeln.
Carver hatte ein Familienfoto in die Hand genommen. Max erkannte, dass es in diesem Wohnzimmer aufgenommen worden war. Carver saß im Sessel, hielt einen Säugling auf dem Arm und strahlte über beide Ohren. Vage erkannte Max in dem Gesicht des Kindes das von Charlie.
»Das war nach der Taufe des kleinen Mannes«, sagte Carver. »Er hat während des ganzen Gottesdienstes nur gefurzt.«
Carver lachte in sich hinein. Max konnte sehen, dass er seinen Enkel liebte. Man sah es an der Art, wie er den Jungen auf dem Foto hielt und wie er sich und den Kleinen jetzt auf diesem Foto betrachtete.
Er reichte Max das Bild und ging am Kaminsims entlang, blieb am Ende stehen und suchte ein kleineres Bild aus der hinteren Reihe heraus. Er verharrte, wo er war, und studierte es.
Max betrachtete das Foto in seiner Hand: Familie Carver um den Patriarchen und dessen Enkelsohn gruppiert. Gustav hatte vier Töchter. Drei kamen nach ihrer Mutter und waren Schönheiten, aus der gleichen Form gegossen wie Francesca, während die letzte klein und dick war und aussah wie eine jüngere Version ihres Vaters in Frauenkleidern. Francesca stand neben ihr, Allain am rechten Ende der Reihe. Es war noch ein Mann auf dem Bild, ungefähr in Allains Alter, aber ein gutes Stück größer und mit kurzem, dunklem Haar. Max vermutete, dass es sich um einen Schwager handelte.
Carver kam zu ihm zurück. Max bemerkte, dass er links leicht hinkte. Er nahm Max das Tauffoto aus der Hand und beugte sich zu ihm vor.
»Ich bin sehr froh, dass Sie den Fall übernommen haben«, sagte er im Flüsterton. »Es ist mir eine Ehre, einen Mann wie Sie hier bei uns zu haben. Einen Mann, der noch Werte und Prinzipien hat.«
»Wie ich Ihrem Sohn schon gesagt habe: Die Sache wird vielleicht kein glückliches Ende finden«, sagte Max ebenfalls flüsternd. Für gewöhnlich versuchte er, seinen Kunden gegenüber neutral zu bleiben, aber er musste zugeben, dass er den alten Mann mochte, trotz allem, was er über ihn gelesen hatte.
»Mr. Mingus …«
»Sagen Sie Max zu mir, Mr. Carver.«
»Gut, dann Max. Ich bin alt. Ich hatte einen Schlaganfall. Mir bleibt nicht mehr viel Zeit. Ein Jahr, vielleicht mehr, aber nicht viel mehr. Ich will unseren Jungen zurück. Er ist mein einziger Enkel. Ich will ihn noch mal sehen.«
Wieder stiegen Gustav die Tränen in die Augen.
»Ich werde mein Bestes geben, Mr. Carver«, sagte Max, und es war ihm ernst. Auch wenn er sich fast hundertprozentig sicher war, dass Charlie Carver nicht mehr lebte, und ihm schon jetzt davor graute, dem alten Mann die Nachricht überbringen zu müssen.
»Da bin ich ganz sicher«, sagte Carver und sah Max mit Bewunderung in den Augen an.
Max fühlte sich drei Meter groß und hätte sich am liebsten sofort an die Arbeit gemacht. Er würde Charlie Carver finden – wenn nicht seinen Leichnam, dann zumindest seinen Geist und den Ort, den er heimsuchte. Er würde herausfinden, was mit ihm geschehen und wer dafür verantwortlich war. Und er würde herausfinden, warum. Aber dabei würde er es belassen. Unter keinen Umständen würde er Rache üben. Diese Befriedigung würden die Carvers für sich beanspruchen wollen.
Sein Blick fiel auf etwas, das er noch nicht bemerkt hatte, weil es nur aus nächster Nähe zu erkennen war: In die Säulen des Kaminsimses war in goldenen Lettern ein Schriftzug eingemeißelt. Psalm 23, der bekannteste von allen, der mit » Der Herr ist mein Hirte … « anfängt. Hier jedoch war der fünfte Vers zitiert:
Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde . Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein .
Ein Dienstmädchen kam in den Raum.
» Le dîner est servi .«
» Merci , Karine«, sagte Carver. »Abendessen. Ich hoffe, Sie sind mit leerem Magen gekommen.«
Als Max und Carver auf die Tür zugingen, erhoben sich Allain und Francesca von ihren Sitzen und folgten ihnen. Für eine ganze Weile hatte Max vergessen, dass sie noch im Raum waren.
11
Das Abendessen wurde von zwei Dienstmädchen in schwarzer Uniform mit weißer Schürze aufgetragen. Sie waren leise und unaufdringlich, ihre Anwesenheit nicht mehr als ein flüchtiger Schatten an der Schulter. Sie servierten den ersten Gang: zwei Scheiben Parmaschinken, angerichtet in Form eines Kreuzes, dazu gekühlte Zucker-,
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