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Voodoo

Voodoo

Titel: Voodoo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stone
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paar Sekunden lang blieb er reglos liegen und versuchte den Schaden abzuschätzen. Die Beine unverletzt. Kein richtiger Schmerz. Oberkörper und Kinn taten nicht weh, nicht sehr. Irgendetwas war da, eine Ahnung von Schmerz, die ihm von jenseits einer Milchglasscheibe zuwinkte, aber es war nicht mehr als ein buckliger Schatten in einem noch immer schönen, seidigen Nebel. In den Tagen vor Erfindung der Vollnarkose hatte man den Leuten vor einer Amputation vermutlich eine Barbancourt-Kommunion verabreicht.
    Der Junge lachte, es hörte sich an wie ein Frosch.
    »Blan sa soul Blan sa sou!«
    Max hatte keine Ahnung, was er da redete. Er stand auf, zog sein Bein aus dem Schlagloch und drehte sich um, dem Berg zugewendet. Er war stinksauer. Im Brustkorb verspürte er einen stechenden Schmerz. Der Zauber des Rums war gebrochen, und sämtliche Albträume brachen wieder über ihn herein. Sein halbes Hosenbein hatte sich mit einem Cocktail aus Pisse, Altöl und gut abgestandenem Abwasser vollgesogen.
    »Verpiss dich!«, brüllte er.
    Aber der Junge war nicht mehr zu sehen. Er war verschwunden. An seiner Stelle standen nun ungefähr ein Dutzend Straßenjungen vor ihm, keiner größer als ein Zehnjähriger. Er sah nur die Umrisse ihrer Köpfe und ihre Zähne, sofern sie welche hatten und sie zeigten, und das Weiße ihrer Augen. Sie waren nicht groß, reichten ihm höchstens bis an die Schulter. Er konnte sie riechen: kalter Holzqualm, gekochtes Gemüse, Erde, Alkohol, Schweiß, Verfall. Er spürte ihre Blicke in der Dunkelheit.
    An diesem Straßenabschnitt standen keine Laternen, kein Auto fuhr den Berg hinauf oder herab. Die Lichter der Bar waren nur noch Stecknadeln in der Ferne. Wie weit war er gelaufen? Er warf einen kurzen Blick in die Straße zu seiner Linken. In zwei Reihen hatten sich die Jungen quer über der Straße aufgebaut und versperrten ihm den Weg. Dabei war er nicht einmal sicher, ob das überhaupt die Straße war, in die er wollte. Er musste noch einmal zurückgehen, vielleicht bis zur Bar, und von vorn anfangen. Vielleicht diesmal nach dem Weg fragen.
    Er tat ein paar Schritte nach vorn und blieb stehen. Sein Schuh war im Schlagloch stecken geblieben. Er schaute nach unten, aber er konnte das Loch nicht mehr sehen. Er tastete mit dem Fußballen die Straße ab, aber er spürte nur festen Asphalt.
    Die Trommeln waren plötzlich verstummt, als hätten die Spieler mitbekommen, was hier vor sich ging, und wären aufgestanden, um zu gaffen. Max hatte ein Gefühl, als wäre er taub geworden.
    Er zog auch den zweiten Schuh aus, steckte ihn in die Jackentasche und ging los, den Hügel hoch. Und blieb wieder stehen. Da waren mehr Kinder, als er gedacht hatte. Sie hatten sich quer über die ganze Straße aufgestellt. Er stand direkt vor ihnen, so dicht, dass er nichts anderes mehr einatmete als ihre n gossenfrischen Gestank. Er wollte gerade etwas sagen, als er hinter sich leises Flüstern hörte, das in der Luft verdampfte wie Regentropfen auf einem heißen Blechdach.
    Als er sich umdrehte, war da ein zweiter Kordon, der ihm den Weg nach unten verstellte. Jetzt sah er auch die Gestalten, die aus Pétionville heraufkamen. Noch mehr Kinder. Alle trugen etwas in der Hand, Stöcke anscheinend, große Stöcke, Knüppel.
    Sie kamen seinetwegen. Sie kamen, um ihn zu töten.
    Zu seiner Linken hörte er einen Stein herunterfallen und über die Straße rollen. Das Flüstern nahm einen vorwurfsvollen Tonfall an, es kam aus nur einer Richtung. Er folgte ihm mit den Augen bis zur Tür eines verlassenen Gebäudes. Er sah genauer hin, versuchte die Dunkelheit zu durchdringen. Er erkannte, dass da Steine herausgereicht und von einem zum anderen in einer Kette weitergegeben wurden. Die Hälfte der Kinder hatte schon einen Stein in der Hand.
    Wenn alle bewaffnet waren, vermutete er, würden sie einen Steinhagel auf ihn niederregnen lassen. Dann würden die anderen mit ihren Knüppeln den letzten Rest Leben aus ihm herausprügeln.
    Sein Mund wurde trocken. Er wusste nicht, was er tun sollte. Er konnte nicht mehr denken. Er wurde einfach nicht nüchtern.
    Dann machte der Rum sich wieder bemerkbar. Plötzlich fühlte sich sein Körper wieder gut an, das Pulsieren im Kinn ließ nach, sein Kopf war wieder ganz leicht. Er war mutig und unbesiegbar.
    Alles halb so wild. Er hatte schon Schlimmeres erlebt. Er konnte ihre Reihen durchbrechen. Warum nicht den Versuch wagen? Was hatte er zu verlieren?
    Er trat ein paar Schritte zurück und straffte

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