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Voodoo

Voodoo

Titel: Voodoo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stone
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ich hatte das Zeug noch monatelang in den Kleidern, obwohl meine Mutter die Sachen ein paarmal gewaschen hat. Seitdem reagiere ich allergisch auf Chanel. Wenn jemand es trägt, kriege ich Kopfschmerzen.«
    »Was haben die mit den Behinderten gemacht?«
    »Das Gleiche wie Mitte der Siebziger, als man beschlossen hatte, das Land für Touristen attraktiver zu machen: Sie wurden eingesammelt, die Kranken, die Lahmen, die Armen, und nach La Gonâve geschafft. Das ist eine kleine Insel vor der Küste.«
    »Verstehe«, sagte Max und tastete seine Taschen nach einem Notizblock ab. Er fand keinen. »Was ist aus ihnen geworden? Sind sie immer noch da?«
    »Keine Ahnung. Ein paar sind wohl dageblieben, nehme ich an. Das waren die Ärmsten der Armen, diese Leute leben so dicht am Boden wie die Ratten. Keiner hat sich um die geschert«, sagte Chantale, während Max den kleinen Armeerucksack zu seinen Füßen aufhob, in dem er die Kamera und den Kassettenrekorder transportierte. Er hatte einen Stift eingesteckt, aber kein Papier.
    Chantale knöpfte ihre Brusttasche auf und reichte ihm ihr Notizbuch.
    »Allzeit bereit«, lachte sie.
    Max machte sich Notizen.
    »Haben Sie schon mal von Ton Ton Clarinet gehört?«
    »Es heißt Tonton, nicht ›Tonn-Tonn‹. Bei Ihnen hört sich das an, als wollten Sie einen Elefanten nachmachen.« Wieder lachte sie. »Tonton Clarinette ist ein Schauermärchen, ein böser Mann, von dem Eltern ihren Kindern erzählen: Wenn du nicht brav bist, kommt Tonton Clarinette, um dich zu holen. Er ist eine Art Rattenfänger, er hypnotisiert die Kinder mit seiner Musik und entführt sie auf ewig.«
    »Sagen die Leute, Tonton Clarinet habe Charlie entführt?«
    »Ja, klar. Als wir die Plakate aufgehängt haben, sind die Leute von der S traße zu uns gekommen und haben gesagt, ihr werdet den Jungen nie finden – Tonton Clarinette hat ihn, genau wie unsere Kinder.«
    Max nickte und dachte an Claudette Thodore.
    »Sehen Sie das da drüben?«, sagte Chantale und zeigte auf eine heruntergekommene Straße mit abrissreifen Häusern, auf deren Wänden und Dächern noch verblasste Aufschriften zu erkennen waren. Mehrere Leute sprangen von einem Kipper, der mitten auf der Straße geparkt hatte. »Das war mal der Rotlichtbezirk. Es gab jede Menge Schwulenbars und Bordelle und Clubs. Echt wild und ausgelassen. Hier wurde jede Nacht gefeiert. Die Leute hatten nicht viel, aber feiern konnten sie. Jetzt kann man hier nachts nicht mal mehr durchfahren, höchstens mit einem Panzer.«
    »Was ist mit den Bars passiert?«
    »Jean-Claude hat alle schließen lassen, als die AIDS-Raten stiegen, das war 1983. Die reichen amerikanischen Schwulen, die früher für ein Wochenende hergekommen waren, um sich auszutoben, sind weggeblieben, weil in euren Medien behauptet wurde, AIDS sei in Haiti entstanden. Jean-Claude hat auch die Schwulen festnehmen lassen.«
    »Und nach La Gonâve gebracht?«
    »Nein. Kein Mensch weiß, was mit ihnen geschehen ist.«
    »Mit anderen Worten, sie wurden umgebracht?«
    »Wahrscheinlich. Man weiß es nicht. Keiner ist der Sache nachgegangen, zumindest nicht offiziell. Man wollte keine Gerüchte in die Welt setzen. Homosexualität ist ein großes Tabu hier. Auf Kreolisch heißen Schwule massissi und Lesben madivine . Heutzutage kursiert der Spruch: ›Es gibt keine Schwulen in Haiti, die sind alle verheiratet und haben Kinder‹. Hier passiert vieles im Verborgenen«, sagte Chantale. »Aber eine Zeitlang hieß es, Jean-Claude sei bi. Das lag wahrscheinlich an den Unmengen Koks, die er sich reingezogen hat, und an der Tatsache, dass er schon sämtliche Frauen Haitis gevögelt hatte, die er wollte. Angeblich hatte er einen High-Society-Freund, René Sylvestre. So ein dicker fetter Kerl, der in einem vergoldeten Rolls Royce durch die Gegend kutschierte und Frauenkleider trug.«
    »Klingt nach Liberace.«
    »Man nannte ihn ›Le Mighty Real‹ – nach dem schwulen Discosänger.«
    »Der von You Make Me Feel Mighty Real? «
    »Sie kennen das Lied?«
    »Klar. Ich hab die Maxi-Single.«
    »Sie?« Chantale lachte.
    »Natürlich.«
    »Echt?«
    »Sicher. Was ist daran so überraschend? Ich bin der echte Tony Manero. You Make Me Feel Mighty Real – mein Song!«
    »Sieht man Ihnen gar nicht an.« Wieder lachte sie dieses Lachen.
    »Gucken Sie genauer hin«, sagte Max.
    »Wir werden sehen.«

17
    Sie fuhren über den Boulevard Harry Truman, eine breite, von Palmen gesäumte und überraschend glatte Küstenstraße. Zur

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