Voodoo
dann mal nein gesagt. Und warum? Weil er nicht befugt war, Geschäfte mit Umzugsunternehmen zu machen. Mit allem anderen war er einverstanden, aber damit nicht.
Sie haben gefeilscht und gestritten, es ging hin und her. Als es so aussah, als würden die Verhandlungen an dieser Sache scheitern, hat Carter Clinton angerufen und ihn aus dem Bett geworfen, um ihm die Lage zu erklären. Clinton war stinksauer. Er hat Carter zur Sau gemacht, hat ihn so laut angeschrien, dass die Leute im Nebenzimmer noch alles verstanden haben. Nichtsdestotrotz hat Clinton sein Okay gegeben, und das Sofa ist zusammen mit den Militärs ins Exil gegangen.«
Max brach in schallendes Gelächter aus. »Das gibt’s doch gar nicht!«
»Wahre Gerüchte«, sagte Chantale.
Beide lachten.
Der Präsidentenpalast war ein weitläufiges zweigeschossiges, strahlend weißes Gebäude, das das grelle Sonnenlicht reflektierte, sodass es vor dem Hintergrund der dunklen Berge zu leuchten schien. An einem Masten über dem Haupteingang wehte die rotblaue Flagge Haitis.
Sie umkurvten ein Podest, auf dem eine Statue von General Henri Christophe zu Pferde stand. Er war einer der ersten Herrscher Haitis gewesen und thronte jetzt mit Blick auf den Palast und die US-Truppen auf seinem Sockel. Am Fuße der Statue lungerten junge Haitianer herum, die Kleider flatterten ihnen um die dünnen Glieder, sie musterten ihre Besatzer, beobachteten den Verkehr oder starrten ins Leere.
Der Rest der Stadt war, soweit er das bisher gesehen hatte, ein Dreckloch – eine übel riechende, rostzerfressene, marode Ruine. ›Baufällig‹ war da noch geprahlt. Alles schien krumm und schief, kurz vor dem Zusammenbruch: Die ganze Stadt brauchte ein Zehn-Millionen-Dollar-Facelifting oder, besser noch, den kompletten Abriss und Wiederaufbau. In einer Reihe reich verzierter Häuser – die Türen längst verschwunden, die Fensterläden schief in den Angeln –, in einer früher vermutlich einmal wohlhabenden Gegend, heute dreckig und halb verfallen, hausten Gott weiß wie viele Menschen, von d enen Max einige auf den Balkonen herumhängen sah.
Ampeln gab es nicht. Seit sie Pétionville verlassen hatten, hatte er genau eine Ampelanlage gesehen, und die war außer Betrieb. Die Straßen waren, wie praktisch alle Straßen Haitis, die er bisher gesehen hatte, von Schlaglöchern und Rissen übersät. Die Autos stinkende, qualmende, zusammengeflickte Rostlauben mit deutlich zu vielen Passagieren an Bord. Ein paar bunt bemalte Tap-Taps rauschten hupend vorbei, überladen mit Menschen und ihren Besitztümern, die sich in Laken und Kleiderbündeln auf dem Dach türmten, zusammen mit so vielen Fahrgästen, wie noch darauf passten. Dazwischen hin und wieder eine Luxuskarosse, importierte Edelautomobile, die Zehntausende von Dollar kosteten und sich vorsichtig ihren Weg über holprigen Asphalt und tückische Schlaglöcher suchten.
Die Stadt versetzte Max in eine Traurigkeit, die er so nicht kannte. Zwischen dem Schutt und den Ruinen sah er einige wenige stolze, schöne alte Gebäude, die zu ihrer Zeit prachtvoll gewesen sein mussten und es auch heute noch sein könnten, würde sich jemand die Mühe machen, sie zu renovieren. Doch es war nicht abzusehen, dass das je passieren würde. Betrachtete man eine Hauptstadt als eine Art Schaufenster für den Rest des Landes, dann wäre Port-au-Prince ein Autohandel, der geplündert und in Brand gesetzt und erst Stunden später vom Regen gelöscht worden war.
»Ich weiß noch, wie es war, als der Papst herkam«, sagte Chantale und drehte das Radio leiser. »Das war 1983, ein Jahr, bevor ich nach Amerika gegangen bin. Damals war Jean-Claude Duvalier – Baby Doc – noch an der Macht. Na ja, eigentlich war es seine Frau Michèle. Im Grunde hat sie das Land regiert.
Sie hat alle Straßen säubern lassen, die Sie hier sehen. Früher waren hier überall Bettler und Händler, die ihre Waren an großen Holztischen verkauften. Die mussten ihre Sachen packen und woandershin ziehen, wo der Papst sie nicht sehen konnte. Es gab auch viele Behinderte – körperlich und geistig Behinderte –, die hier an der Straße saßen und gebettelt haben. Auch die hat sie verjagt. Die Straßen wurden neu asphaltiert und alles weiß gestrichen. Ein paar Stunden, bevor der Papst mit seinem Papamobil hier entlanggefahren ist, hat Michèle die Straße mit Chanel-Parfum einsprühen lassen. Da habe ich genau hier gestanden. Der Geruch war so stark, dass ich Kopfschmerzen kriegte, und
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