Voodoo
Beste, nicht darüber zu reden, es in seinen Erinnerungen abtauchen zu lassen. Wenn er ständig daran dachte, würde es ihm nur den Blick vernebeln, seine Wahrnehmung durcheinanderbringen. Der Kanal musste frei bleiben.
»Ich vergess es nicht, Joe, keine Sorge.«
Max lauschte der Musik. Bruce drosch auf die Akustikgitarre ein und orgelte auf der Mundharmonika herum wie Bob Dylan auf Speed. Er vermutete, dass Joe in Momenten wie diesem am glücklichsten war, wenn er im Schoße seiner geliebten Familie seine Musik hören konnte. Joe würde immer jemanden haben, der ihn liebte und der für ihn sorgte. Max hatte das Bedürfnis, noch ein wenig länger in Joes Leben hineinzuhorchen, der Wärme und Zärtlichkeit zu lauschen, seinem Zuhause, dessen Glieder so zerbrechlich waren wie die eines neugeborenen Kindes.
Dritter Teil
16
»Max, Sie stinken«, sagte Chantale und lachte ihr dreckiges Lachen.
Sie hatte recht. Er hatte geduscht und sich die Zähne geputzt, aber in dem heißen Klima ließ sich der Gestank einer durchzechten Nacht nicht so leicht loswerden. Den Rum, den er sich bis vor wenigen Stunden noch stetig zu Gemüte geführt hatte, schwitzte er nun durch alle Poren aus. Er verpestete den Innenraum des Landcruisers mit einem süßlichen, schalen und beißenden Geruch, wie Süßzeug in kochendem Essig.
»Tut mir leid«, sagte er und schaute aus dem Fenster in die Landschaft, die in Braun und Gelb mit seltenen grünen Tupfern vorüberzog, als sie auf der kurvigen Straße hinunter nach Port-au-Prince fuhren.
»Ich wollte Sie nicht beleidigen«, lächelte sie.
»Haben Sie nicht. Ich mag es, wenn Leute sagen, was sie denken. Meistens bedeutet das, dass sie auch meinen, was sie sagen – das spart einem eine Menge Rätselraten.«
Chantale hingegen roch fantastisch: ein frischer, scharfer und doch feiner Zitrusduft hüllte sie ein. Sie trug eine kurzärmelige türkisfarbene Bluse, ausgewaschene Jeans und sandfarbene Armeeboots. Das Haar hatte sie zu einem kurzen Pferdeschwanz gebunden. Sonnenbrille, Stift und ein kleiner Notizblock ragten aus der Brusttasche ihrer Bluse. Sie war nicht nur gekommen, um ihn durch die Gegend zu kutschieren. Sie war zum Arbeiten da, ob ihm das passte oder nicht.
Sie war pünktlich da gewesen, war um halb acht in einem staubigen Honda Civic auf den Hof gerollt, dessen Windschutzscheibe aussah, als sei sie seit mindestens einem Jahr nicht mehr geputzt worden. Max war gerade beim Frühstück gewesen, das Ruby, das Dienstmädchen, für ihn zubereitet hatte. Er hatte Spiegeleier gewollt, nur leicht durch und einmal umgedreht, aber sie hatte sein Kauderwelsch aus langsamem Englisch, Lauten und Zeichensprache missverstanden und ihm ein Omelette auf Maniokfladen serviert. Nichtsdestotrotz köstlich und sehr sättigend. Er hatte es mit extra starkem schwarzen Kaffee und einem großen Glas Saft runtergespült, den sie Chadec genannt hatte – eine Art Grapefruit ohne Säure.
»Harte Nacht?«, fragte Chantale.
»Könnte man sagen.«
»Waren Sie im La Coupole?«
»Woher wissen Sie das?«
»In Ihrer Gegend gibt es nicht gerade ein Überangebot an Bars.«
»Waren Sie mal da?«
»Nein«, lachte sie. »Die Leute würden mich für eine Nutte halten.«
»Das glaube ich kaum«, sagte Max. »Dafür haben Sie viel zu viel Klasse.«
Da: Er hatte mit ihr geflirtet – und das, ohne tief durchzuatmen, ohne all seinen vergessenen Mut zusammennehmen zu müssen, ohne lange nach den richtigen Worten zu suchen. Er hatte einfach den Mund aufgemacht, und genau das Richtige war herausgekommen, ganz schlicht und einfach: eines jener vieldeutigen Komplimente, die gut und gerne noch als platonische Schmeichelei durchgehen konnten. Er hatte einfach so wieder in den Modus des samtpfötigen Raubtiers umgeschaltet, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Jetzt gab es zwei Möglichkeiten: Entweder sie fing seine Bemerkung auf und spielte sie mit einer eigenen Note zu ihm zurück, oder sie gab ihm zu verstehen, dass er keine, aber auch gar keine Chance hatte.
Chantale packte das Lenkrad ein wenig zu fest und schaute stur geradeaus.
»Ich glaube nicht, dass Ihre Landsleute hier den Unterschied kennen«, sagte sie bitter.
Sie ging nicht darauf ein. Es war nicht direkt ein Korb, aber eine Einladung war es auch nicht. Max versuchte zu raten, mit wie vielen Männern sie schon zusammengewesen war. Er hatte eine ätzende Bitterkeit aus ihren Worten herausgehört, die Art von Abwehr, die man sich nach einem gebrochenen
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