Voodoo
aufgeputzt die Kunden waren, als wären sie eigens zum Friseur gegangen und hätten sich neue Kleider gekauft, bevor sie hier ihre Geschäfte abwickelten. Möglicherweise war es in Haiti Ausdruck eines gewissen gesellschaftlichen Status, ein Bankkonto zu besitzen. Man gehörte einem exklusiven Kreis an, und das Ritual des Einzahlens und Abhebens fungierte als gesellschaftliches Gegenstück zur Kommunion oder zur Spende bei der sonntäglichen Kollekte.
Die Männer mit den Koffern wurden durch eine Tür rechts der Schalterreihe geführt. Neben der Tür standen zwei Wachleute mit Pumpguns, die sie lässig im Arm trugen.
In der Mitte des hochglanzpolierten dunklen Granitfußbodens prangte Haitis Nationalflagge, sie nahm ungefähr die Hälfte der Fläche ein. Max lief einmal darum herum und betrachtete sie eingehend: zwei horizontale Streifen, oben Dunkelblau, unten Rot. In der Mitte ein Wappen mit einer Palme, flankiert von zwei Kanonen, mehreren Flaggenmasten und Musketen mit Bajonetten. Auf der Spitze der Palme eine blaurote Kappe, unten auf einer Schriftrolle das Motto » L’Union Fait La Force «.
»Die Duvalier-Flagge sah viel besser aus, Schwarz und Rot anstelle von Blau. Die stand noch für Business. Vor zehn Jahren wurde sie wieder in die ursprünglichen Farben geändert, also musste auch der Fußboden neu gemacht werden«, sagte Chantale, während sie Max beobachtete. »Eine sehr französische Flagge. Die Farben Blau und Rot entsprechen im Grunde der Tricolore ohne das Weiß, das für den weißen Mann steht und deshalb weg musste. Der Schriftzug und die Waffen symbolisieren den Freiheitskampf des Landes durch Einheit und gewaltsame Revolution.«
»Eine Kriegernation«, bemerkte Max.
»Das war damals«, entgegnete Chantale trocken. »Wir kämpfen nicht mehr. Heute legen wir uns nur noch hin und stecken ein.«
»Max!«, rief Allain Carver, der vom anderen Ende der Halle auf sie zukam. Einige Kunden – alles gut situierte Frauen, die vor den Schaltern anstanden – drehten sich um und verharrten. Sie ließen ihn nicht aus den Augen, als er schnellen Schrittes und mit klackernden Absätzen den Raum durchquerte, die Hände leicht nach vorn gestreckt, als wollte er etwas auffangen.
Sie gaben sich die Hand.
»Willkommen!«, sagte Carver. Ein fast warmes Lächeln, der perfekt sitzende Anzug frisch gebügelt, die Haare nach hinten gegelt. Er war wieder Chef, Herr und Meister.
Max schaute sich noch einmal in der Schalterhalle um und fragte sich, wie viel Drogengeld in den Bau geflossen war.
»Ich würde Sie liebend gern selbst herumführen«, entschuldigte sich Carver, »aber ich habe den ganzen Tag Kundentermine. Unser Sicherheitschef Mr. Codada wird Ihnen das Haus zeigen.«
Er führte sie den Weg zurück, den er gekommen war, und ließ sie durch eine Tür, neben der zwei Wachleute standen, in einen kühlen, langen Korridor mit blauem Teppichboden, der ein gutes Stück weiter an einem Aufzug endete.
Vor dem einzigen Büro am Korridor blieben sie stehen. Carver klopfte zweimal und stieß die Tür abrupt auf, als hoffte er, die Anwesenden bei etwas Peinlichem oder Verbotenem zu erwischen.
Mr. Codada telefonierte, einen Fuß auf dem Schreibtisch. Er lachte laut und ließ die Troddeln an seinen Lacklederschuhen im Rhythmus seiner Freudenausbrüche klappern. Er warf ihnen über die Schulter einen Blick zu, wedelte unbestimmt mit der Hand durch die Luft und setzte sein Gespräch fort, ohne seine Position zu verändern.
Es war ein geräumiges Büro; an den Wänden hingen zwei Gemälde. Der Schreibtisch war leer bis auf das Telefon, eine Schreibunterlage und ein paar kleine schwarze Holzfiguren.
Codada sagte: » A bientôt , ma chérie «, schmatzte ein paar Küsschen in den Hörer und legte auf. Dann drehte er sich mitsamt Stuhl zu seinen Besuchern um.
Ohne seinen Platz neben der Tür zu verlassen, sprach Carver in schroffem Tonfall auf Kreolisch mit ihm und deutete mit dem Kopf zu Max, als er dessen Namen sagte. Codada nickte schweigend. Sein Gesicht spiegelte eine Mischung aus professionellem Ernst und übrig gebliebener Fröhlichkeit wider. Max hatte keine Mühe, das Verhältnis zwischen den beiden zu durchschauen. Codada war Gustavs Mann und nahm den Junior nicht im Geringsten ernst.
Als Nächstes wechselte Carver ein paar Worte mit Chantale, sehr viel sanfter und mit einem Lächeln. Dann drehte er den Oberflächencharme noch etwas weiter auf, um sich von Max zu verabschieden.
»Viel Spaß bei der
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