Vor aller Augen
Ich steckte schon wieder in einem Fall. Wieder hatte man mir befohlen, die Schule zu schwänzen. Alles entwickelte sich schneller, als ich gedacht hatte. Ich war nicht sicher, ob das gut oder schlecht war.
»Weià Senior Agent Nooney, dass ich das Ein-Mann-Kommando des Direktors bin?«, fragte ich Woods. Bestätigen Sie mir das, denn ich brauche nicht noch mehr Ãrger in Quantico.
»Wir werden ihn unverzüglich informieren, wohin Sie fliegen«, versprach Woods. »Ich werde mich persönlich darum kümmern. Sie fliegen nach Atlanta. Dann werden Sie uns ständig über die Vorgänge dort auf dem Laufenden halten. Im Flugzeug wird man Ihnen Einzelheiten des Falls mitteilen. Es geht um eine Entführung.« Mehr sagte mir Tony Woods nicht.
Das FBI fliegt meistens vom Reagan-Washington-Flughafen aus. Ich stieg in eine hellbraune Cessna Citation Ultra, ohne offizielle Embleme. In der Cessna war Platz für acht Personen, aber ich war der einzige Passagier.
»Sie müssen ganz schön wichtig sein«, sagte der Pilot, ehe wir abflogen.
»Bin ich nicht. Glauben Sie mir, ich bin ein Niemand.«
Der Pilot lachte. »Dann schnallen Sie sich mal an, Mr. Niemand.«
Es war mir klar, dass mir ein Anruf aus dem Büro des Direktors vorausgeeilt war. Man behandelte mich hier wie einen ziemlich hohen FBI-Beamten. Der Troubleshooter des Direktors?
Kurz ehe wir abhoben, sprang noch ein Agent an Bord. Er setzte sich so, dass nur der Gang uns trennte, und stellte sich vor. Wyatt Walsh aus Washington, D.C. Gehörte er auch zur »Flugbereitschaft« des Direktors? Vielleicht mein Partner?
»Was ist in Atlanta passiert?«, fragte ich. »Was ist so wichtig â oder unwichtig -, dass man unsere Dienste benötigt?«
»Ach, hat Ihnen das niemand gesagt?« Er schien überrascht, dass ich die Einzelheiten nicht kannte.
»Ich habe vor weniger als einer halben Stunde einen Anruf vom Büro des Direktors erhalten. Man hat mich aufgefordert, hierher zu kommen. Ich sollte im Flieger die Einzelheiten erfahren.«
Walsh knallte mir zwei dicke Aktenordner mit Unterlagen über den Fall auf den SchoÃ. »Im Buckhead-District von Atlanta wurde eine Frau entführt. Mitte dreiÃig. WeiÃ, recht betucht. Sie ist die Frau eines Richters, deshalb ist es ein Fall fürs FBI. Aber noch wichtiger ist: Sie ist nicht die Erste .«
13
Plötzlich musste alles sehr schnell gehen. Kaum waren wir in Atlanta gelandet, fuhr man mich in einem Transporter zum Phipps-Plaza-Einkaufszentrum mitten in Buckhead.
Sobald wir auf den Parkplatz vor Peachtree einbogen, war mir klar, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte. Wir kamen an den Hauptgeschäften vorbei: Saks Fifth Avenue und Lord & Taylor. Sie waren nahezu menschenleer. Agent Walsh berichtete mir, dass das Opfer, Mrs. Elizabeth Connolly, in der Tiefgarage bei einem anderen groÃen Geschäft, das Parisian hieÃ, entführt worden sei.
Die gesamte Garage war Tatort, besonders aber die dritte Etage, wo man Mrs. Connolly gekidnappt hatte. Jede Etage war mit einer purpurgoldenen Schriftrolle markiert, doch jetzt war alles mit dem hässlichen Klebeband der Tatortsicherung abgesperrt. Auch das Spurensicherungsteam des FBI war anwesend. Die unglaubliche Menge an Aktivität
wies darauf hin, dass die Polizei vor Ort den Fall extrem ernst nahm. Walshs Worte gingen mir durch den Kopf: Sie ist nicht die Erste.
Es war ein wenig merkwürdig, aber ich fühlte mich wohler, als ich mich mit den hiesigen Polizisten unterhielt als mit den Kollegen vom FBI. Ich sprach mit zwei Detectives aus Atlanta: Pedi und Ciaccio.
»Ich bemühe mich, Ihnen nicht im Weg zu stehen«, sagte ich und fügte dann hinzu: »Ich war früher in Washington auch Polizist.«
»Aussteiger, was?«, meinte Ciaccio und unterdrückte ein Lachen. Es sollte ein Witz sein, aber ich spürte den Stachel dieser Wahrheit schmerzhaft. Der Glanz ihrer Augen wirkte beinahe eisig.
Pedi schien ungefähr zehn Jahre älter als seine Partnerin zu sein. Beide sahen ziemlich gut aus. »Warum interessiert sich das FBI für diesen Fall?«
Ich erzählte ihnen so viel, wie ich vertreten konnte, aber natürlich nicht alles. »Es hat andere Entführungen gegeben, die dieser ähneln, oder zumindest sind Personen spurlos verschwunden. WeiÃe Frauen aus den Vorstädten. Wir sind hier, um allen möglichen Verbindungen
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