Vor aller Augen
unangenehmen Gedanken schossen mir durch den Kopf, als ich beim Haus von Richter Brendan Connolly im Tuxedo-Park-Bereich von Buckhead eintraf, in der Nähe des Sitzes des Gouverneurs. Connollys Haus war die Replik eines typischen Südstaaten-Herrenhauses mit zwei Morgen Grund. Ein Porsche Boxter parkte in der kreisrunden Einfahrt. Alles wirkte perfekt â alles an seinem Platz.
Ein junges Mädchen, das noch seine Schulkleidung trug, öffnete die Eingangstür. Das Abzeichen auf dem Pullover sagte mir, dass die Kleine die Pace Academy besuchte. Sie stellte sich als Brigid Connolly vor. Ich sah ihre Zahnspangen. Durch den FBI-Bericht wusste ich bereits über die Familienangehörigen
Bescheid. Das Foyer des Hauses war elegant, mit einem prächtigen Kronleuchter und glänzendem Parkett aus Esche.
Ich entdeckte zwei weitere Mädchen, allerdings nur ihre Köpfe. Sie lugten um die Ecke eines Korridors gegenüber dem Eingang. Alle drei Töchter der Connollys waren ausgesprochen hübsch. Brigid war zwölf, Meredith elf und Gwynne sechs. Laut meinen Aufzeichnungen besuchten die beiden Kleinen die Lovett-Schule.
»Ich bin Alex Cross vom FBI«, sagte ich zu Brigid, die für ihr Alter beeindruckend selbstsicher wirkte, besonders in Anbetracht der Krise. »Ich glaube, dein Vater erwartet mich.«
»Mein Dad wird gleich herunterkommen, Sir«, erwiderte sie. Dann schaute sie zu ihren jüngeren Schwestern und runzelte die Stirn. »Ihr habt Daddy gehört. Benehmt euch. Beide.«
»Ich beiÃe nicht«, versicherte ich den Mädchen, die mich immer noch vom Korridor aus beäugten.
Meredith wurde rot. »Oh, tut uns Leid. Es geht nicht um Sie.«
»Verstehe«, sagte ich. SchlieÃlich lächelten sie. Ich sah, dass Meredith ebenfalls eine Zahnspange trug. Wirklich niedliche, süÃe Mädchen.
Dann hörte ich eine Stimme von oben. »Agent Cross?« Agent? Ich war noch nicht an diese Bezeichnung gewöhnt.
Ich schaute die Treppe hinauf, als Richter Connolly herunterkam. Er trug ein gestreiftes blaues Hemd, eine dunkelblaue Hose und schwarze Mokassins. Er wirkte sportlich und fit, allerdings müde, als hätte er tagelang nicht geschlafen. Ich wusste aufgrund meiner FBI-Unterlagen, dass er vierundvierzig war und an der Vanderbilt Law School studiert hatte.
»BeiÃen Sie wirklich nicht?«, fragte er mit gequältem Lächeln.
Ich schüttelte den Kopf. »Ich beiÃe nur Menschen, die es verdienen«, antwortete ich. »Alex Cross.«
Brendan Connolly nickte in Richtung einer groÃen Bibliothek, die auch als Arbeitszimmer diente. Die Regale an den Wänden waren von oben bis unten mit Büchern voll gestellt. AuÃerdem befand sich in dem Raum noch ein Stutzflügel. Ich sah Noten für Songs von Billy Joel. In einer Ecke stand eine Schlafcouch â ungemacht.
»Wenn Agent Cross und ich fertig sind, mache ich das Abendessen«, sagte er zu den Mädchen. »Ich werde mich bemühen, keinen zu vergiften, aber ich brauche eure Hilfe, Ladys.«
»Ja, Daddy«, antworteten sie im Chor. Sie schienen ihren Vater zu vergöttern. Er schob die Eichentüren zu und wir beide waren allein.
»Das ist so verdammt hart. So schwierig, vor den Mädchen die Fassade zu wahren.« Er stieà einen tiefen Seufzer aus. »Es sind die besten Mädchen der Welt.« Richter Connolly deutete auf die Bücherregale. »Hier ist Lizzies Lieblingsplatz im Haus. Sie spielt hervorragend Klavier. Die Mädchen auch. Wir sind beide Leseratten, aber sie las besonders gern in diesem Raum.«
Er setzte sich in einen rostbraunen Ledersessel. »Ich weià es zu schätzen, dass Sie nach Atlanta gekommen sind. Ich habe gehört, dass Sie bei schwierigen Fällen sehr gut sind. Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte er.
Ich setzte mich ihm gegenüber auf eine farblich passende Ledercouch. An der Wand hinter ihm hingen Fotos vom Parthenon, von Chartres, den Pyramiden und eine Ehrenplakette vom Chastain-Pferdehof. »Es arbeiteten bereits eine Menge Leute daran, Mrs. Connolly zu finden. Die Ermittlungen
gehen in alle möglichen Richtungen. Ich brauche nicht allzu viele Details über Ihre Familie. Das kann die hiesige Polizei erledigen.«
»Danke«, sagte der Richter. »Im Augenblick fühle ich mich kaum noch imstande, all diese grauenvollen Fragen zu beantworten. Und das immer wieder. Sie können sich das
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