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Vor dem Abgrund: Historischer Roman (German Edition)

Vor dem Abgrund: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Vor dem Abgrund: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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knapp und schmallippig. Es hatte den Anschein, als wäre es ihm gar nicht recht, dass dies den Tatsachen entsprach.
    Wieder nickte der Alderman, dann erteilte er dem Constable, der mich am Samstag verhaftet hatte, das Wort.
    So erfuhr ich, dass der Police Constable 189c auf den Namen John Rackley hörte und seit mehr als zehn Jahren bei der City of London Police war. Er berichtete sehr ausführlich, wie er mich am Vormittag des 20. Oktober in der Queen Victoria Street auf dem Bordstein schlafend aufgegriffen und wie ich in rüdem Ton auf seine Aufforderung, den Platz zu räumen, geantwortet hätte.
    »Ich habe nicht geschlafen«, unterbrach ich ihn. »Und ich war nicht rüde, sondern ironisch. Das ist ein Unterschied.«
    »Sie werden später gehört, Angeklagter«, sagte der Alderman und bedachte mich über seinem Zwicker mit einem warnenden Blick.
    Constable Rackley fuhr sichtlich pikiert fort, dass er mich wenig später am Ufer der Themse unweit des Bahnhofs St. Paul’s in der Begleitung einer jungen Offizierin der Heilsarmee wiedergesehen und dass ich laut geschimpft und die Frau körperlich bedroht hätte. Ich hätte die geballte Faust erhoben, sodass er um das leibliche Wohl der betreffenden Person hätte fürchten müssen. Auf seine unmissverständliche und wiederholte Aufforderung, die Hand herunterzunehmen, hätte ich nicht reagiert, sondern stattdessen ihn bedroht, woraufhin er sich genötigt gesehen hätte, mich mit Hilfe des Schlagstocks außer Gefecht zu setzen.
    Wieder wollte ich protestieren, doch ein Blick zum Vorsitzenden machte mir klar, dass das nicht sehr ratsam gewesen wäre. Also schwieg ich und schaute mich Hilfe suchend im Gerichtssaal um. William starrte zu Boden. Doch wo blieb Eva Booth? Warum war sie nicht als Zeugin geladen? Und wo steckte der Taugenichts Gray?
    »Sind Sie sicher, dass der Angeklagte der Frau ein Leid zufügen wollte?«, wandte sich der Alderman an den Officer.
    »Ganz ohne Zweifel«, antwortete Constable Rackley. »Wenn ich nicht eingeschritten wäre, hätte er sie mit der Faust geschlagen.«
    »Lüge!«, rief ich. »Das ist nicht wahr.«
    Der Hammer des Vorsitzenden knallte auf den Tisch.
    »Ruhe!«, rief er und funkelte mich böse an. »Sie hören doch, was der Constable sagt. Er war Zeuge des Vorfalls. Wollen Sie ihn ernsthaft der Lüge bezichtigen?«
    »Warum fragen Sie nicht Miss Eva Booth, ob ich sie bedroht habe?«
    »Police Constable Rackley war zur Tatzeit am Tatort anwesend«, antwortete der Alderman. »Seine Aussage ist in den Augen des Gerichts völlig ausreichend. Wenn Sie die Aussage des geschädigten Opfers hören möchten, so können Sie das zur Hauptverhandlung selbstverständlich beantragen.«
    »Aber es gab kein geschädigtes Opfer«, erwiderte ich zunehmend verzweifelt. »Ich habe niemanden geschlagen und hatte auch nicht die Absicht. Es ist doch gar nichts geschehen. Der Einzige, der zugeschlagen hat, war Constable Rackley.« Da ich sah, dass der Constable sich aufplusterte und etwas erwidern wollte, fuhr ich ihm wütend über den Mund: »Und sagen Sie jetzt nicht, Sie hätten mich gewarnt!« Ich weiß selbst nicht, was in mich gefahren war, aber ich hatte die Faust geballt und stieß sie zornig in seine Richtung.
    »Sehen Sie!«, rief Constable Rackley. »Genau so hat er mich angegriffen.«
    Alderman Renals nickte wissend, notierte etwas auf seinem Papier und wies einen der Gerichtsdiener mit einer Kopfbewegung an, mich zu besänftigen.
    Mir war klar, dass mein Fall verloren war. Ich hatte mich um Kopf und Kragen gewütet und würde wie mein verrückter Kollege neben mir in Holloway enden. Bevor sich der Gerichtsdiener mir nähern konnte, hatte ich die Hand gesenkt und mich auf die Bank fallen lassen. Mir blühte die Untersuchungshaft.
    »Angeklagter, bitte erheben Sie sich zur Urteilsverkündung!«, sagte der Alderman und räusperte sich leise.
    »Einen Augenblick!«, erschallte plötzlich eine helle Frauenstimme durch den Saal. Und im nächsten Moment schritt Eva Booth in ihrer dunklen Uniform durch die kleine Pendeltür, die vom Zuschauerraum zum Verhandlungssaal führte. »Ich möchte eine Aussage machen, Euer Ehren.«
    »Und wer sind Sie?«, wollte der Alderman wissen.
    »Eva Cory Booth«, antwortete sie und baute sich direkt vor dem Richterstuhl auf. »Captain der Heilsarmee, Dienerin Gottes und Zeugin in diesem Fall.« Eine rote Locke fiel ihr über die Stirn, und ich stellte erleichtert fest, dass sie keinen Verband mehr unter ihrer Haube

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