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Vor dem Fest

Vor dem Fest

Titel: Vor dem Fest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Saša Stanišic
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gedroht, Johann den Zylinderhut wegzunehmen, falls er nicht kooperiert. Das hat Johann fast witzig gefunden.
    Ja, und dann war sie weg, und er hat nach ihr gerufen, und die Lederhaut hat seine Stimme verschluckt.
    Mu hat ihn Jochim genannt. Johann weiß, wer Jochim ist. Er ist einer aus den Märchen. Mu hat ihm Jochims Geschichte vorgelesen, als er klein war. Und er sie ihr, als sie depri war.
    Johann fährt mit dem Finger über die Hefte in einem der Regale, zieht eines heraus, blättert darin. Der Ring des Kesselflickers. Jochim wird unsichtbar, die Leute kriegen Angst, er entscheidet sich, trotz krasser Pluspunkte, gegen die Unsichtbarkeit, The End. Hm. Mu erzählt das anders. Jochim bleibt unsichtbar und ärgert die Leute, die ihn früher immer verarscht haben.
    Mu hat Johann mehr Angst gemacht als das Eingesperrtsein.
    Johann ist wieder cool. Er klettert auf die Truhe und streckt den Arm mit dem Telefon zur Decke. Kein Netz. Räumt Bücher zur Seite und schiebt die Truhe an die Wand gegenüber, kein Netz.
    Johann ist wieder cool. Er hat Zeit. Es gibt Licht, Bücher, und unter dem Tisch eine halbvolle Cola light . Johann liest.

NACHDEM SIE DIE MARK ÜBER JAHRE mit ihren Anschlägen, Raubzügen und Ganovenstücken durstigklich und freventlich wider Gott, Recht und alle Pilligkeit etliche Mal geschedigt, Ufrur angerichtet und manchfaltige Gewaldt angewandt, zuletzt zu Lychen gar eine Kirche zu einem Stal gewandelt und mit Tieren bewohnet und in den Stal aber den Altar und die Insignien versetzet und den Pfarrer gezwungen, dort zu predigen, wurden die notorischen Diebe, Betrieger und Aufwiegler, Schleichhändler und Wegelagerer, Hinnerk Lievenmaul und Kunibert Schivelbein, sonst Langbeiniger Kuno genant, am Tag Andree 1599 abermals dem uckermärkischen Obergericht zu Prenzlow übergeben.
    Vorsitz hatte inne Seine Gnaden Herr Joachim von Halvensleben.
    Lievenmaul und Schivelbein sprachen für die eigne Sache.
    Nebst der bekannten und vor der Cammer unlengst verhandelten, ob der Flucht der Vorgenanten jedoch ungesühnten Delicti,processirte dießmahl ein neuer Kläger, Graf Poppo von Blankenburg, demselben die Angeklagten bey einem falschen Spile erst 9 tl. abgenommen, beym Versuch, ein Faß Bier aus dessen Keller zu entwenden, gleichwol festgemacht worden.
    Lievenmaul und Schivelbein ließen verlauthen, erstlich, es sey dieß kein falsch Spil gewesen, falsch sey von Blankenburgs ganzes Wesen, vor allem sein Haarschopp, der reinste Besen – sondern, bey allem, was gut sey und recht, der Herr spile schlicht elendig schlecht.
    Für derlei Schmehen hat es von Seiner Gnaden eine Rüge gegeben.
    Zweytens hetten die Verklagten die Thaler vom vorgenanten hohen Herrn gar nicht stelen können, da dieselben ihm gar nicht eigentlich gehörten. Wol aber gehörten sie der Stadt Fürstenfelde, so befunden im cämmergerichtlichen Urtheile von 1514, daß je 1 tl. pro Wagenladung Krebse – neune in diesem Jahr – an die städtische Casse zu zalen sey und nicht also an die Casse vom Herrn v. Blankenburg, derselbe aber fleißig Jahr um Jahr eincassire. Es sey zwar darnach ein zweytes Urtheil gesprochen, dieses aber von einem Gerichte, welches Herr von Blankenburg also beeinflußt, daß der Process mithin gewirket habe, als sey jener nicht bloß Klager, sondern auch Richter, alle sieben Schöffen und alle Gäste im Richtsal in einem. Die Fürstenfelder hetten dieß schamlos Urtheil annehmen müssen, auch weil sie mit Buchsen und andern mördlich Wehren bedroht wurden und nicht so enden wolten wie der Schultze von Göhren, derselbe sich dahingegen gewehret und unter unaufgeklärten Factoren zu Tode geprügelt wurde. Sie – Schivelbein und Lievenmaul – schwüren vor Gott und Gericht, sowol die Thaler als auch das Bier, bis auff vielleicht zwey Krüge, denen in Fürstenfelde zurückgeben gewolt zu haben.
    Und was all die andern von dem Gerichte zu ihrem Namen gedachten üblen Thaten betreffe – sie bejahten die Schuld an einer bloß: getürmet zu haben aus dem Turme zu Prenzlow, nachdem sie vorjährig zum Tode verurtheilt worden. Dieß könne aber glaublich wol als eine That von zweyen Verzwifleten gesehen werden.
    Alles Reden war vergebens, so auch Schivelbeins Anzeige auf das Factum hin, daß sie keine Person jemals körperlich beschediget hetten. Für die incorrigiblen und habitualen Verbrecher gab es wider die sententia des Todtes.
    Ihrem Erbitten, derselben Ort für die executio zu bestimmen, kam seine Gnaden nach, wol umb das

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