Vor dem Fest
Waffen haben wir jetzt vermutlich beieinander.
SEI HELDISCH
Lern zu laufen schnell, zu schwimmen lang, zu klettern hoch (lass Vorsicht walten), lern, was einer Frau gebührt und was einem Mann, und tue dann, was du tun willst. Lern das (wenn du willst), von dem dir einer sagt, das sei nichts für dich.
Sei heldisch im Streben. Wisse, was du dir vom Leben wünschst, und warte nicht, dass es geschieht, sondern strebe willentlich danach. Strebe nicht nach Glück, sondern nach Gelingen (nimm dir Zeit).
Sei heldisch im Denken, aber nicht kopflos im Reden. Für Gedanken ist der Augenblick immer recht, für Worte gibt es auch den falschen. Erkenne und achte ihn, dann wird das Denken nicht umsonst gewesen sein.
Sei heldisch im Tun. Bringst du den anderen damit Schaden, dir aber einen Vorteil, so tue es nicht (es sei denn, die anderen schaden dir). Bringst du den anderen damit einen Vorteil, dir aber nicht, so muss die Tat eine sehr gute sein (und die anderen ihrer wert). Bringst du damit den anderen Vorteil und dir auch, so tue es und wisse: Alle wirst du nie zufriedenstellen können.
Sei heldisch im Urteil. Vertrau auf Gottes Wort und Ritters Urteil und Richters Spruch. Aber lausche auch des Sünders Buße, des Büßers Entschuldigung, des Schuldigen Klage, des Angeklagten Verteidigung. Und entscheide dann (man wird dich belügen).
Sei heldisch bei Fragen. Sei heldisch und sage, wenn du die Antwort nicht weißt, und sei so heldisch, sie zu erfragen. Deine Fragen stelle aber so, dass du damit keine Gefallen tust, sondern allein auf Antwort drängst. Antworte niemals um des Redens, sondern um der Antwort willen.
Sei heldisch in der Ordnung. Kenne die Sitten, um sie zu wandeln (kenne deine Rechte wie deine Pflicht).
Sei heldisch in der Gemeinschaft. Biete Hilfe an und nehme Hilfe an (wisse, wem und von wem). Gib acht auf die Schwachen in Not, fordere die Starken auf, gegen Not zu handeln. Gibt es Streit, so denke nicht über Schuld nach, sondern über das Schlichten und Lösen. Bring dich selbst in Not, wenn es bedeutet, anderen aus der Not zu helfen (kenne einen Ausweg).
Sei heldisch zu deiner Erinnerung, indem du ehrlich zugibst, was gewesen ist.
Sei heldisch und wisse: Helden können nicht immer Helden sein, es gibt auch sonst viel zu tun.
III
ANNO 1722 DEN 29. SEPT. schicktejene unglückliche Mutter nach mir, die ein Töchterchen auf graußamlichste Weise in einem Ofen verloren, dasselbe zuvor mühtig das Dorf vor reuberischen Vagabunden gewarnet. Mich wunderte, warum das arme Weib mich in schwerster Stund bestellet, aber ich zauderte nicht. Vielleicht würde ich eine kleine Noth zu lindern wissen in grosser Noth, die der schreckliche Verlust über sie und das Dorf gebracht.
So manches Haus in Fürstenfelde steht seit dem Kriege verlassen. Geflohne kehren nur allgemächlich heim, und deren viel werden, Herr, hab sie selig, wol niemals widerkehren. Eine Forcht plaget mich um den Ort, daß ihm ein Los der Wüstung und Zunichtewerdens droht wie andren im Umland.
Die Trauerniß brütete noch größer in mir, wie ich an ihrem Häuschen ankommen und mehr Unglück fand. Das Gebeude scheint wol erst kurtzlich von einem Brand angegriffen und nur nothdürftig gegen die Wetter geflickt. Die Feuerklingen haben sich gebort tief ins Holtz und hinterlassen schwartze Wunden.
Auf einer unkräutich wildwuchernden Wiese ist unter einer Eiche die Mutter gewesen, hager, lang und gantz in Trauer, regungslos wie im Holtzschnitte. Gesprochen hat sie ohne Grüßen und ohne Blicken, heiser von Kümmerniß. Nicht ich war es, den sie gemeint, sondern dies war eine gantz personliche Nachrichtigung in Lebensdingen, einem Kinde gedacht. Dies Kind würde ihre Botschaft gleichwol nicht erhalten, darum es war ihr todtes, zu dem sie gerufen, es sole heldisch sein in allem. Für die Mutter war die Tochter nicht todt, und also sprach sie, als thät sie selbst eine Raise und ließe das Kind allein.
Mir sind ihre Worte durch die Kehle gegangen einem Pflüge gleich. Sie wühlten mein gantzes Denken um, außer daran, wie graußlich das Menschenlos bisweilen ist. Den Ort verließ ich ohne ein Wort und nahm der Mutter Worte mit. Gewiß wolte sie mich zum Zeugen, um die Geschichte von ihrem Kinde in die Welt zu tragen, und so Gott mir helffe, ich wil dieß tun.
WIR SIND ETWAS ÜBERFORDERT. Frau Schwermuth befiehlt mit gezogener Waffe Mitkommen. Das Licht ihrer Taschenlampe wandert wütend zwischen Anna und Herrn Schramm. Anna hält die Arme über
Weitere Kostenlose Bücher