Vor dem Fest
droht, wird der Hahn mal das Leben seiner Hennen retten, oft aber auch nicht.
Durden verweigerte Ditzsche die Bezahlung, er kam nicht einmal für das Material auf. Im Dorf erzählte er, wie der Idiot ihn um drei Rassehühner gebracht hatte und dafür eine Ziege verantwortlich machte. Selbstverständlich erzählte er es nicht selbst. Er hatte Leute, die das für ihn übernahmen.
Der Tratsch blieb nicht haften. Füchse fressen nun mal Hühner. Ich als Fuchs, sagte das Dorf, würde Rassehühner sogar besonders köstlich finden. Statt über Ditzsche sprachen die Leute über die Möglichkeiten, ein Gehege fuchssicher zu machen. Der Fährmann sagte: »Geht es um Hühner, ist Ditzsche über jeden Verdacht erhaben.« Fährmanns Wort hatte von alters her immer schon mehr Gewicht als das der Stadtherren. Die Sache wurde vergessen. Nur Ditzsche vergaß nicht.
Wenn das Hühnergehege steht, streue großzügig Pfeffer um den Zaun. Hänge Menschenhaar in geringen Abständen in die Maschen, betupfe den Zaun mit deinem Schweiß. Uriniere regelmäßig an das Gehege.
Einmal setzte sich Durden zu uns, die wir bei Blissau tranken. Es war schon spät, einige schliefen schon auf den Tischen. Durden begann von seinen Hühnern zu erzählen. Er könne sie immerfort gackern hören, sagte er, auch jetzt.Sie klagen, sagte er, beklagen sich. Sie sind unzufrieden.
Er war zerknirscht, der kleine Mann, fuhr sich mit der Hand durch das Haar, bestellte ein Bier und trank es nicht. Wir trösteten ihn, weil nach Mitternacht jedermann Trost verdient. Wir sagten, die Hühner, die empfinden doch kein Empfinden. Die bereuen nichts. Verlangen nur das Nötigste. Durden hörte zu oder nicht. Zu Hause legte er sich schlafen und hörte in seinen Bürgermeisterträumen die Zwerg-Kämpfergackern.
Der Fuchs kehrte zurück. Durden beobachtete ihn. Am helllichten Tag schlich das Tier um das Gehege, aufreizend langsam. Der Hahn führte seine Hennen in den Stall. Eine harrte draußen aus. Hier und da steckte der Fuchs die Nase an den Zaun. Scharrte ein wenig. Zog unverrichteter Dinge davon. Die Ziege stand jetzt woanders.
Hätte der Bürgermeister eingegriffen, wenn der Fuchs hineingelangt wäre? Wir wollen nicht mutmaßen. Am nächsten Tag gab Durden die Hühner an die Zuchtkameraden ab. Behielt nur die Henne, die nicht gewichen war.
Ditzsche sagte: Ein Huhn ohne Angst ist nicht tapfer.
Nach der Wende wollte Durden in die FDP eintreten und erneut kandidieren. Als Ditzsche davon erfuhr, ist er gleich zu Blissau und hat erzählt. Von Heinz Durdens Brief an Modrow. Hat sich damit selbst in die Bredouille gebracht. Weil: Woher wusste er das? Und dann: Das sei doch bestimmt nicht der erste Brief gewesen, den er aufgemacht hatte. Des Spitzels Rache am Lokalpolitiker. Einige bei Blissau klangen beinahe geschmeichelt, dass man sie bespitzelt haben könnte. Ditzsche sagte, er sei kein Spitzel. Er sagte nicht, er habe nicht gelesen.
Durden hatte in seinem Brief gegen die Kirche gewettert und sich für eine Fortführung der Stasi in anderer Form eingesetzt. Das alles im Auftrag des Dorfs. Allerdings wusste das Dorf von dem Auftrag nichts. Was in dem Brief sonst stand, war fast egal. Niemand schreibt Briefe in unserem Namen. Durden kandidierte in Fürstenfelde niemals mehr für irgendwas.
Ditzsche verlor seine Anstellung. Ob er nur die Post von Durden gelesen hatte, oder von allen, ist bis heute nicht geklärt.
Wenn das Hühnergehege steht, richte die Hühner für den Kampf ab. Bewaffne sie mit Eisensporen für die Nacht.
2005 starb Heinz »Kleinz« Durden. Auf seinem Grabstein steht: Sein Stern ist erloschen. Die Schliebenhöners sind zurückgekehrt und wohnen wieder im großen Haus. Auch das Hühnergehege ist bewohnt. Keine Rassezüchtung, aber gesunde Hühner, goldene Farbschläge. Um den Kirschbaum schleicht die Fähe. Und neben dem Gehege? Steht eine Schubkarre.
IM JAR 1618, DEN NEUNZEHNDEN MAII, WURDEN ALLHIER SECHS SONNEN AM HIMMEL GESEHEN.
JOHANN IST WIEDER COOL. Aber mal im Ernst: Im Keller eingesperrt werden, wer hätte nicht geschrien (zumindest kurz)? Ein paar Minuten später kam Mu. Wieder, muss man sagen, Mu kam wieder. Als er ihre Stimme gehört hat, war er natürlich erst mal erleichtert. Und dann hat die ihn nicht rausgelassen.
Mann, Mu.
Mu hat alles, was Johann gesagt hat, missverstanden oder ignoriert, und ihn durch die Tür Sachen gefragt, die er nicht beantworten konnte. Wer steckt hinter dem Ausbruch, wo sind die anderen? Am Ende hat sie
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