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Vor dem Fest

Vor dem Fest

Titel: Vor dem Fest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Saša Stanišic
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Arm, daß der blanke Knochen im Blute gelegen. Der Anblick war, vor Gott, der schrecklichste, den ich je gesehen.
    Trotz starker Blutung war das Kind noch am Leben. Es verlangte nach einem Apfel. Dies war verwunderlich, da es sonst nicht geachtet, was es verschlang. Der liebe Vater eilte hinaus und kehrte mit Äpfeln zurück. Das Mädchen biss von jedem ab und sprach dann fiebrig, die Äpfel seien falsch. Die Frucht, die es begehrte, befände sich an einem wildwachsenden Ort unter einer einsamen Eiche. Wieder machte der Vater sich auf den Weg, und also hat er es nicht erleben müssen, wie sein Töchterchen unter Krämpfen und Not verstarb. Einen Apfel freilich fand er nicht, wo er ihn zu finden geglaubt hatte.
    Ich verließ das traurige, arme Dorf, selbst nicht ohne gewiße Kümmernis, Gott fürchtend und ihm sehr dankend, daß er dies Antlitz nicht all seinen Schäflein zeigt.

WIE GEHTS?
    Muss ja.

JOHANNS TOP-LISTE FÜR DAS ERSTE MAL:
    1. Wiebke, die Tochter von Metzger Krone. Ihr Vater leider immer ironisch und Metzger (gefährlicher Mix).
    2. Andrea aus dem Öko-Café in Parmen. Schwierig, weil bei den Ökos so viele Regeln zu beachten sind.
    3. Neu: Anna. Auf dem Fahrrad mit Trägerkleidchen.
    Nach zwei Stunden Einzelhaft beginnt Johann also, sich zu langweilen. Er öffnet die Truhe, die er zuvor verschoben hat. Ein einzelnes Buch ist darin, in Tuch gehüllt, alt und dick. Statt Titel ein Kreuz.
    Johann setzt sich auf den Tisch, nimmt einen Schluck Cola. Ein Kirchenbuch vielleicht oder eine Chronik. Der erste Eintrag ist von 1587.
    Johann blättert weiter.
    Im Jar 1615 hat sich im Monat Junio folgendes zugetragen. Nachdem Konrad Köhler gantz dürr geworden und das Haar und die Sprache verloren und daran kläglich verschieden und todt lag, maß es seine Mutter einer jungen Magd, Anna Meier, zu, die er solte einmal gescholten haben, und also ward die Meiersche gefangen gesetzt und hat in der Tortur bekant, daß sie hieran Schuld getragen. Sie ward als Zauberhexe mit 6 glühenden Zangenzügen nach Brandenburgischen Urteil gerissen und hernach mit Feuer verbrandt. Die Verrichtung hat sich zu Abendt vor dem Annenfeste begeben, und es hat dieß ungewohnlich lang gedauert, darumb, daß ein ungestüm Wetter gewesen mit viel Donnerschlag über der Stadt.
    4. Doch lieber die Jessie aus dem Landshop? MILF . Erfahren und diese Crocs- Schuhe mit den Löchern. Lada meint, dass Frauen über dreißig mit Crocs besonders geil abgehen. Jessie ist verheiratet. Frauen, die verheiratet sind, meint Lada, gehen noch geiler ab. Lada meint, die sind wie ein Kriegsveteran, der sich auf dem Feld noch mal so richtig beweisen will.

DER FÄHRMANN HAT EINMAL ERZÄHLT , es gebe im Dorf jemanden, der mehr Erinnerungen von anderen Leuten besitze als Erinnerungen, die seine eigenen sind. Das Dorf hat sofort geglaubt, er meint Ditzsche. Könnten auch andere gemeint gewesen sein, meinen wir.
    Ditzsche prüft die Eierbox. Im Haus spielt noch immer Musik. Er holt die Münzen heraus, zählt die Eier. Acht Euro und Piazzolla in Fürstenfelde. Ein dürrer Mann, sehnig. Er klappt den Deckel zu, klopft ein paar Takte darauf.
    Ditzsche macht uns ratlos. Was findet die Nacht interessant an ihm? Sein beständiges Einzelgängertum? Die Einsamkeit eines alten Mannes? Dafür haben wir Herrn Schramm. Ditzsche schien das Alleinsein auch nie ernstlich etwas auszumachen. Nicht mit seinen Hühnern, nicht mit der Musik, nicht mit unseren Briefen. Vielleicht ist es das? Der Briefträger als Spitzel. Andererseits: Nachgewiesen wurde ihm nichts, und er selbst hat bestritten, im Auftrag gehandelt zu haben. Allerdings nicht, die Briefe gelesen zu haben.
    Dietmar Dietz ist wie ein Ohrwurm von einem Lied, das du kaum kennst. Von dem du immer nur die eine einprägsame Zeile aus dem Refrain singst und auch die vermutlich falsch (Verrat am Dorf, leidenschaftliches Tanzen, Hühnergackern, Menschenscheue). Das Lied lässt dich nicht los, du summst und pfeifst mit und weißt nicht mal, wer es singt.
    Ditzsche verschwindet im Hof, sieht nach seinen Hühnern. In der Dunkelheit draußen lauert die Fähe, das humpelnde, jetzt auf einem Auge blinde Tier. Sie hat die Eier wohl gerochen. Sie quert die Straße und richtet sich auf, die Vorderläufe gegen den Tisch, die Nase an der Box. Mit einem Satz ist sie oben.
    Das Lied ist das von jenen, die anders nicht können. Von Getriebenen, immer so Gebliebenen. Obwohl versehrt, sucht das Tier – suchen wir – das Gelingen. Vom Wie lohnt

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