Vor dem Fest
es sich immer zu singen. Der Song gerade ist recht unorthodox: Wie öffnet fuchs eine Eierbox.
FRAU REIFF LÄSST DEN KATER RAUS , wartet, die Hand am Türgriff, aus Neugier oder Höflichkeit, bis Anna, Herr Schramm und Frau Schwermuth in Hörweite sind, um sie zu grüßen: »Noch so spät unterwegs?«
Die drei wie im Chor: »Ja.«
Frau Reiff hat vor ein paar Jahren die alte Schmiede gekauft, hat sie mit Freunden und dem Dorf saniert und betreibt dort nun eine Keramik-Werkstatt. Wir finden, das ist das schönste Gehöft von ganz Fürstenfelde.
Was schön heißt? Schöner als das von den Nachbarn. Sonneneinfall, Dämmung, Wärmespeicherung, Geschichte, so was. Sehr wichtig ist, daran viel selbst gemacht zu haben. Eigener Garten, ein weiterer Pluspunkt. Zum Beispiel, wie viel von dem Gemüse bleibt übrig, um es dem Nachbarn, der keinen Garten hat, aufzudrängen? Oder auch der Familie in der Stadt, der man auf diese Weise mit den Vorzügen des Landlebens den Mund stopfen kann, buchstäblich.Mitentscheidend ist auch, was bist du für ein Mensch? Mieser Charakter, miese Fassade, heißt es bei uns. Wer lobt schon die Hecke von jemandem, den man nicht mag? Das Gehöft von Frau Reiff finden wir also auch deswegen schön, weil Frau Reiff eine Frau ist, die sich nichts zuschulden kommen lässt. Zumindest ist uns noch nichts zu Ohren gekommen.
Hinter der Toreinfahrt öffnet sich ein geräumiger Innenhof. Dahinter gelangt man durch die ehemalige Scheune mit Heuboden, den man als Gruppenunterkunft mieten kann (inklusive Heu), in den Apfelgarten. Zwischen den Bäumen sitzt ein greises Kajak fest, eine Schaukel trägt die Windkinder, zwischen den Bäumen hört der Kater sich jetzt um.
Das Wohnhaus geht über zwei Stockwerke. Die Räume sind hell und warm, die Wände mit Lehm und, wie man so sagt, Liebe verputzt. Alle Materialien aus der Gegend. Kein Kunststoff, dafür schauen Kiefernzapfen hervor, Steinchen und was sich sonst so in die Naturmasse verirrt hat, etwas Ideologie auch. Die Besucher fahren gern mit der Hand drüber, das gefällt Frau Reiff.
Frau Reiff hat drei Kinder. Drei Mädchen oder drei Jungs?
In den zweiten Stock führt eine breite Treppe. Die Stufen sind in der Mitte heller und tiefer als außen, das kommt vom Gewicht der Zeit. Auf halber Treppe ein Ochsenauge zum Innenhof, wo eine Tafel steht, an der Frau Reiff am Wochenende die Teilnehmer ihrer Raku-Werkstatt bewirtet. Je nach Gruppendynamik und Lufttemperatur sitzt man bis tief in die Nacht zusammen, und manchmal deutet jemand zum Ochsenauge, hat auf der Treppe eine Bewegung gesehen.
Es sind die Kinder. Sie laufen an der Treppe außen, weil sich in der Mitte das alte Holz lauter beschwert. Ruhige, ruhelose Kinder von Vertriebenen, die hier Unterkunft fanden. Kräftige, ruhelose Töchter des letzten hier vor dem Krieg tätigen Schmieds. Dürre, ruhelose Söhne von den Ackerbürgerfamilien Fahrin und Besekow.Vor ihnenandere, die wir nicht mehr kennen. Nachts haben alle Kinder Durst.
Wenn ein Gast fragt, ob Frau Reiff Kinder hat, sagt Frau Reiff entweder: ja, drei Söhne Janek, Karol, Izydor, oder: ja, drei Töchter Martha, Anna, Elisabeth, oder: ja, drei Söhne Albert, Georg, Lennart. Sie hat sich das so angewöhnt, es macht die Unterhaltungen einfacher, sie muss nicht erklären, was sie nicht erklären kann. Und es stimmt auch: Irgendwie sind sie alle Frau Reiffs Kinder, sie wohnen unter demselben Dach. Frau Reiff stellt am Abend ein Glas Wasser für sie am Fuße der Treppe bereit.
Man kann nur verneinen, was existiert.
Im ehemaligen Gesindehaus befindet sich die Werkstatt. Der Geruch von Ton und Rauch klebt hartnäckig auf allen Dingen. Die unfertigen Töpferwaren und der Keramikstaub wecken bei den zumeist circa fünfzigjährigen Besucherinnen die Erinnerung an diesen einen Film mit Patrick Swayze –der Titel will uns gerade nicht einfallen –, Swayze dreht mit seiner großen Liebe eine Vase, bevor sie stirbt. Oder nachdem sie gestorben ist?
Auch erhöht ein Besuch der Werkstatt die Wahrscheinlichkeit, dass der folgende Satz ausgesprochen wird: So etwas mit Händen hätte ich auch gern gelernt. Oder: ich würde gern lernen. Oder: werde ich mal lernen. Frau Reiffs Töpferkurse sind jedenfalls lang im Voraus ausgebucht. Die Leute kommen aus der ganzen Republik nördlich von Kassel. In den Pausen wird gern im Apfelgarten geschaukelt, gerade wenn man den Kurs als Pärchen macht oder sich bei der Werkstatt ein bisschen nähergekommen ist. Immer fragt
Weitere Kostenlose Bücher