Vor dem Fest
ständig anrufen, was ist da los, warum ist immer noch nichts passiert? Dann zertrümmerst du doch nicht Tischlers Möbel, ohne ein letztes Mal mit den anderen Alten auf ihn zu trinken oder auf ganz andere Sachen, Hauptsache erinnern. Dann sagst du nicht, hier, 170 Euro pro Tonne gemischten Schrotts. Und außerdem, was machst du mit dem ganzen Werkzeug und den alten Maschinen? Den Töchtern war das erst egal, aber dann hat Lada angedeutet, dass man einiges verwerten könnte, und plötzlich waren ihnen das Werkzeug und die Maschinen nicht mehr so egal.
Die Maschinen bedienen kann wahrscheinlich nur, wer ungefähr so alt ist wie die. Der Tischler saß noch bis zum Schluss davor, der Tischler war ein Arbeitstier. Viele von uns liegen in seinen Särgen, die waren recht günstig, dafür ist auch mal eine Schrankwand drunter, oder für Herrn Geels, unseren Fischermeister, stilgerecht sein altes Boot, fein sah das aus, keine klassische Form, sondern wie ein Boot eben. Eigentlich nicht so fein, aber Geels hatte das so bestellt und hatte daran nichts auszusetzen, und er musste es ja wissen, weil letzten Endes lag er ja selbst darin.
Natürlich gab es auch Beschwerden, ein bisschen Schwund ist immer. Sagt man woanders. Wir sagen das nicht. Wir sagen: Wer zu geizig ist, um einen gelernten Tischler zu holen, der darf sich nicht beschweren, wenn später was schief hängt.
Dafür war der Tischler ein Arbeitstier. Mitten in der Nacht konntest du ihn anrufen, und er kam vorbei, hat deinen Fernseher repariert und mit dir Frühstücksfernsehen geguckt, oder hat ihn entsorgt, wenn er meinte, dass nichts mehr ging. Unser Tischler war nämlich auch Elektriker. Manche sagen: ein besserer Elektriker als Tischler.
Und im Nachhinein war er vielleicht auch kein so guter Elektriker, wenn man sich zum Beispiel das Archivarium anguckt. Eddie war es, der das elektrische Schloss installiert hatte, und dann ging der Code manchmal nicht, oder die Tür summte so komisch, dass Frau Schwermuth Konzentrationsbeschwerden bekam, oder sie stand offen, wie heute Nacht.
Ein Arbeitstier, der Eddie. Er hat sich im Sterben noch einen eigenen Sarg gebaut, einen schönen aus Kirschholz, er mochte den Geruch, das ist so eine kleine Sache, die wissen die Leute über ihn. Eine andere ist die, dass unser Tischler alles aufgehoben hat, und das kriegen jetzt auch Lada und der stumme Suzi zu spüren . Nicht weil er ein sentimentaler Mann war, der Tischler war ganz unbedingt genau das Gegenteil: ein Optimist. Er hat geglaubt, dass er alles bis zum letzten Nagel gebrauchen wird können. Seine drei Töchter sind eine unsentimentaler als die nächste, keine hat es bei uns ausgehalten, und wir wissen, wir müssen das positiver ausdrücken: Die drei haben ihre Zukunftschancen woanders höher eingeschätzt, und jetzt ist eine geschieden, eine bei dm , eine hat einen Sohn mit Lerndefizit, und wir empfinden keine Schadenfreude. Also doch, schon auch Schadenfreude, weil sie sich das Haus ihres Vaters und ihrer Kindheit nach dessen Tod nicht mal mehr angeschaut haben und weil sie Lada gesagt haben, alles kann weg, weg damit. Weg damit! Das hat uns nicht gefallen, so eine unberechtigte Beharrlichkeit. Es hat uns nicht gefallen, dass sie so pauschal nicht das Wichtige vom Unwichtigen trennen wollten, weil, ja: Wir sind sentimental, wir. Der Tischler hatte doch alles für uns aufgehoben. Materialien, die er irgendwann zu Dingen machen wollte, um sie uns zu verkaufen, oder Dinge, die uns zugedacht waren, die aber bislang keiner wollte, und schließlich Dinge, die wir kaputt gemacht haben und die bei ihm gelandet sind. Manchmal hat uns Eddie Jahrzehnte später unser Radio zurückgebracht, mit ernster Miene und nicht ohne Stolz. Haben wir natürlich nicht mehr gebrauchen können, also hat er es behalten. Und jetzt sollte das Radio »weg damit«? Die Werkstatt ist bis zur Decke voll mit Radios, und überhaupt mit Elektrogeräten und Bauteilen von Elektrogeräten, aber auch mit Musik- und Videokassetten, Toastern, Föns, Playboy -Heften. Der stumme Suzi staunt, der ganze Kopf inklusive Nacken, wo der Drache darüber wacht, dass Suzi nichts zustößt, erstarrt vor dieser Unendlichkeit an Rohstoff, Gerät, Werkzeug, Staub und Biografie, auch unserer Biografie, Holz in allen Alterungsphasen, Gusseisen, Aluminium. Rost, ja viel Rost. Eddie hat immer Besseres zu tun gehabt, als aufzuräumen. Als wir ’45 den Ami-Flieger abgeschossen haben, war Eddie als Erster zur Stelle und kraxelte
Weitere Kostenlose Bücher