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Vor dem Frost

Vor dem Frost

Titel: Vor dem Frost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Vermißtenmeldung wird er als
bedeutend
beschrieben. Glückliche Kindheit und Jugend, keine Dummheiten, Studien an verschiedenen Unis, sehr gut bezahlte Anstellung bei dem privaten Kunstsammler. Sie lebte einfach, hielt regelmäßige Gewohnheiten ein, Arbeit an Werktagen und Kirche an Sonntagen.«
    Ann-Britt verstummte.
    »Ist das alles?« fragte Kurt Wallander verwundert.
    »Das ist alles.«
    Er schüttelte den Kopf. »Es muß doch noch mehr geben«, sagte er. »Wir müssen alles über sie wissen. Das übernimmst du. Clark Richardson muß auf die bestmögliche Weise hofiert werden. Versuch ihm das Gefühl zu vermitteln, daß dies zum gegenwärtigen Zeitpunkt die wichtigste Ermittlung ist, die in Schweden läuft. Was sie vielleicht auch ist«, fügte er hinzu.
    Jetzt folgte eine offene Diskussion. Linda hörte gespannt zu.
    Nach einer halben Stunde klopfte ihr Vater mit dem Bleistift auf die Tischplatte und beendete die Sitzung. Alle verließen den Raum, und am Ende waren nur Linda und ihr Vater noch da.
    »Ich möchte, daß du mir einen Gefallen tust«, sagte er. »Rede mit Anna, besuch sie, aber stell keine Fragen. Versuche nur herauszufinden, warum Birgitta Medbergs Name eigentlich in ihrem Tagebuch steht. Und dieser Vigsten in Kopenhagen. Ich habe die Kollegen dort gebeten, ihn einmal ein bißchen genauer unter die Lupe zu nehmen.«
    »Nicht ihn«, sagte Linda. »Er ist nur alt und verwirrt. Aber es gab da noch jemanden. Der sich nicht zeigte.«
    »Das wissen wir nicht«, sagte er irritiert. »Verstehst du, worum ich dich bitte?«
    »So zu tun, als ob nichts wäre«, antwortete Linda. »Und gleichzeitig zu versuchen, Antwort auf wichtige Fragen zu bekommen.«
    Er nickte und stand auf. »Ich mache mir Sorgen«, sagte er. »Ich verstehe nicht, was da geschieht. Und ich fürchte das, was noch kommt.«
    Dann sah er sie an, strich ihr rasch, fast schüchtern, über die Wange und verließ den Raum.
    Am selben Tag lud Linda Anna und Zebra ins Cafe unten am Hafen ein. Gerade als sie sich setzten, begann es zu regnen.
    Der Junge saß auf dem Fußboden und spielte still mit einem Auto, das kräftig quietschte, weil ihm zwei Räder fehlten. Linda betrachtete ihn. Manchmal konnte er unerträglich quakig sein und Aufmerksamkeit heischen, dann wieder, wie jetzt, war er ganz ruhig, versunken in die geheimnisvollen Straßen, auf denen er sein kleines gelbes Auto über den Fußboden fahren ließ.
    Das Cafe war zu dieser Tageszeit fast leer. Ein paar dänische Segler saßen an einem Tisch in der Ecke und studierten eine Seekarte, die Bedienung hinter der Theke gähnte.
    »Frauengespräche«, sagte Zebra plötzlich. »Warum haben wir nie Zeit dafür?«
    »Schieß los«, sagte Linda. »Ich höre zu.«
    »Und du?« fragte Zebra, zu Anna gewandt. »Hörst du zu?«
    »Na klar.«
    Es trat Stille ein. Anna rührte in ihrer Teetasse, Zebra stopfte eine Prise Kautabak unter die Oberlippe, und Linda nippte an ihrem Kaffee.
    »Ist das hier eigentlich alles?« sagte Zebra. »Ist es nicht mehr als das? Das Leben?«
    »Was meinst du?« fragte Linda.
    »Das, was ich sage. Wo sind all die Träume geblieben, die man hatte?«
    »Ich kann mich nicht erinnern, daß du von etwas anderem geträumt hast, als daß du Kinder kriegen wolltest«, sagte Anna.
    »Jedenfalls war das der wichtigste Traum.«
    »Richtig. Aber all das andere. Ich bin immer eine maßlose Träumerin gewesen. Ich war zwar nicht besonders oft so stockbetrunken, wie man nur als Teenager sein kann. So daß man in einem Beet lag und kotzte und sich all der Kerle erwehren mußte, die die Situation ausnutzen und sich bedienen wollten. Aber an meinen Träumen habe ich nicht einmal genippt. Ich habe sie versoffen, könnte man sagen. Herrgott, was sollte nicht alles aus mir werden! Modedesignerin, Rockstar, Flugkapitänin in den größten Düsenjets.«
    »Es ist doch noch nicht zu spät«, sagte Linda.
    Zebra stützte den Kopf in die Hände und sah sie an.
    »Klar ist es zu spät. Hast du wirklich davon geträumt, Polizistin zu werden?«
    »Nie. Ich wollte Möbelpolsterin werden. Was kaum ein besonders erregender Traum war.«
    Zebra wandte sich an Anna. »Und du?«
    »Ich stellte mir vor, einen Sinn zu finden.«
    »Und hast du ihn gefunden?«
    »Ja.«
    »Welchen denn?«
    Anna schüttelte abweisend den Kopf. »Das kann man nicht erzählen. Das hat man in sich. Oder nicht.«
    Linda dachte, daß Anna auf der Hut zu sein schien. Dann und wann sah sie Linda an, als wollte sie sagen: ›Ich weiß,

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