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Vor dem Frost

Vor dem Frost

Titel: Vor dem Frost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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daß du versuchst, mich zu durchschauen.‹ Ich kann nicht sicher sein, dachte Linda.
    Die beiden dänischen Segler standen auf und gingen. Einer von ihnen tätschelte dem Jungen den Kopf.
    »Es hätte nicht viel gefehlt, und ihn hätte es auch nicht gegeben«, sagte Zebra.
    Linda schüttelte verständnislos den Kopf. »Wie meinst du das?«
    »Ich war kurz davor abzutreiben. Manchmal wache ich nachts schweißgebadet auf. Ich habe geträumt, ich hätte abgetrieben, den Jungen gäbe es nicht.«
    »Ich dachte, du wolltest das Kind.«
    »Das wollte ich auch. Aber ich hatte solche Angst. Ich glaubte nicht, daß ich es schaffen würde.«
    »Ein Glück, daß du es nicht getan hast«, sagte Anna.
    Zebra und Linda reagierten beide auf ihren Tonfall. Er klang streng, vielleicht verärgert. Zebra nahm sofort Verteidigungshaltung ein. »Ich weiß nicht, ob das Wort ›Glück‹ wirklich paßt. Das begreifst du vielleicht, wenn du selbst schwanger wirst.«
    »Ich bin gegen Abtreibungen«, sagte Anna. »So ist es einfach.«
    »Abzutreiben bedeutet nicht, daß man ›dafür‹ ist«, sagte Zebra ruhig. »Es kann andere Gründe geben.«
    »Welche?«
    »Daß man zu jung ist, daß man krank ist.«
    »Ich bin gegen Abtreibungen«, wiederholte Anna.
    »Ich bin froh, daß ich den Jungen habe«, sagte Zebra. »Aber ich bereue nicht, daß ich mit fünfzehn abgetrieben habe.«
    Linda war überrascht. Auch Anna, konnte sie sehen. Sie schien wie versteinert und starrte Zebra an.
    »Herrgott«, sagte Zebra. »Warum starrt ihr so? Ich war damals fünfzehn. Was hättet ihr denn getan?«
    »Vermutlich nichts anderes«, antwortete Linda.
    »Ich nicht«, sagte Anna. »Abtreibung ist Sünde.«
    »Jetzt hörst du dich an wie ein Pastor.«
    »Ich sage nur, was ich meine.«
    Zebra zuckte die Schultern. »Ich dachte, dies sei ein Frauengespräch. Wenn man mit seinen Freundinnen nicht über Abtreibung sprechen kann, mit wem dann?«
    Anna stand abrupt auf. »Ich muß gehen«, sagte sie. »Ich habe etwas vergessen.«
    Sie verließ das Cafe. Linda fand es sonderbar, daß sie nicht einmal dem Jungen tschüß sagte, der auf dem Fußboden saß.
    »Was ist denn in sie gefahren?« sagte Zebra. »Man könnte meinen, daß sie selbst eine Abtreibung hinter sich hat, aber nicht darüber reden will.«
    »Vielleicht ist es so«, sagte Linda. »Was weiß man eigentlich über die Menschen? Man glaubt, daß man etwas weiß. Aber die Wahrheit ist häufig eine Überraschung.«
    Zebra und Linda blieben länger, als sie vorgehabt hatten. Die Stimmung war verändert, nachdem Anna gegangen war. Sie kicherten und tuschelten, als wären sie wieder Teenager. Linda begleitete Zebra und den Jungen nach Hause. Sie trennten sich vor ihrer Haustür.
    »Was wird Anna tun, glaubst du?« fragte Zebra. »Die Freundschaft aufkündigen?«
    »Sie sieht bestimmt noch ein, daß sie komisch reagiert hat.«
    »Ich bin mir da nicht so sicher«, sagte Zebra. »Aber ich hoffe, du hast recht.«
    Linda ging nach Hause. Sie legte sich aufs Bett und schloß die Augen. Langsam begann sie wegzudämmern. Ihre Gedanken wanderten. Jetzt war sie wieder auf dem Weg zu dem See, wo jemand brennende Schwäne gesehen zu haben meinte und bei der Polizei anrief. Plötzlich fuhr sie hoch. Sie hatte Martinsson sagen hören, daß sie einen Anruf kontrollieren wollten, der in der Notrufzentrale eingegangen war. Alle Anrufe wurden auf Band aufgenommen. Das hieß, daß auch der Anruf wegen der brennenden Schwäne auf einem Band sein mußte. Linda konnte sich nicht erinnern, einen Kommentar darüber gehört zu haben, wie der Mann gesprochen hatte.
Es gab einen Norweger, der Torgeir Langaas hieß.
Amy Lindberg hatte auch jemanden gehört, der Dänisch oder Norwegisch sprach. Linda sprang aus dem Bett. Wenn der Anrufer mit einem Akzent spricht, wissen wir, daß es eine Verbindung gibt zwischen den brennenden Tieren und dem Mann, der das Haus hinter der Kirche in Lestarp gekauft hat.
    Sie trat auf den Balkon. Es war zehn Uhr. Die Luft war kühl. Bald Herbst, dachte sie, bald Frost. Dann wird es unter meinen Füßen klirren, wenn ich endlich Polizistin geworden bin.
    Das Telefon klingelte. Es war ihr Vater. »Ich wollte nur sagen, daß ich zum Essen nicht nach Hause komme.«
    »Es ist zehn Uhr! Ich habe schon lange gegessen.«
    »Ich bleibe wohl noch ein paar Stunden hier.«
    »Hast du Zeit für mich?«
    »Was meinst du damit?«
    »Ich hatte vor, einen Spaziergang zum Präsidium hinauf zu machen.«
    »Ist es

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