Vor dem Frost
Abend vorher hatte ich mit Freunden gefeiert. Das erste, was ich tat, nachdem ich das Präsidium betreten hatte, war, auf die Toilette zu sausen und zu kotzen. Und was willst du tun?«
»Das jedenfalls nicht«, entgegnete Linda.
Ann-Britt Höglund stand an der Anmeldung. Sie schien weiterhin entschlossen zu sein, Linda nur notgedrungen zu grüßen, und Linda nahm sich vor, es umgekehrt von jetzt an ebenso zu halten.
An der Anmeldung lag eine Mitteilung für Linda: Lisa Holgersson wollte mit ihr sprechen. »Habe ich etwas Falsches gemacht?« fragte Linda.
»Bestimmt nicht«, entgegnete Stefan Lindman und ging.
Ich mag ihn, dachte Linda. Mehr und mehr.
Lisa Holgersson kam gerade aus ihrem Zimmer, als Linda zu ihr wollte. »Kurt hat es mir erklärt«, sagte sie. »Wir lassen dich mitmachen. Ein eigentümlicher Zufall, daß eine deiner Freundinnen in die Sache verwickelt ist.«
»Das wissen wir nicht«, erwiderte Linda. »Es kann sein. Aber wir wissen es nicht.«
Um neun Uhr wurde die Tür des Sitzungsraums geschlossen. Linda hatte sich auf den Stuhl gesetzt, den ihr Vater ihr angewiesen hatte. Neben ihr saß Stefan Lindman. Sie sah auf ihren Vater, der an einer Schmalseite des Tischs stand und Mineralwasser trank. Genauso hatte sie sich ihn immer vorgestellt, allein an einem Tischende, wie immer durstig, die Haare zerzaust, bereit, einen neuen Tag mit einer komplizierten Verbrechensermittlung zu beginnen. Doch das Bild war romantisch und deshalb falsch, das war ihr bewußt. Sie verzog das Gesicht und schüttelte es ab.
Sie war immer überzeugt gewesen, daß er ein guter Polizeibeamter war, ein gewiefter Ermittler, doch jetzt, als sie mit am Tisch saß, wurde ihr klar, daß er noch eine ganze Reihe unbekannter Kaninchen aus dem Hut zaubern konnte, von denen sie nicht das geringste ahnte. Vor allem imponierte ihr seine Fähigkeit, eine große Menge von Fakten im Gedächtnis zu behalten, und zwar genau in ihren verschiedenen Zeit- und Ereigniszusammenhängen. Während sie zuhörte, lief in der Tiefe ihres Bewußtseins ein anderes Spiel ab. Erst jetzt schien sie zu begreifen, warum er so selten für sie und für Mona Zeit gehabt hatte. Es hatte dafür ganz einfach keinen Raum gegeben. Ich muß mit ihm darüber reden, dachte sie. Wenn alle diese Ereignisse ihre Erklärung gefunden haben und alles vorüber ist, müssen wir darüber sprechen, daß er sich gegen Mona und mich entschieden hat.
Als die Sitzung, die fast zwei Stunden gedauert hatte, vorüber war, blieb Linda im Raum zurück. Sie machte ein Fenster auf und dachte alles, was gesagt worden war, noch einmal durch. Ihr Vater hatte einen Ausgangspunkt gehabt, als er die Flasche abstellte und eine Zusammenfassung der sehr unklaren Lage zu geben begann, vor der sie standen.
Zwei Frauen sind ermordet worden. Dies alles fängt mit zwei Frauen an. Vielleicht ist das, was ich jetzt tue, allzu kühn, nämlich einfach alle anderen denkbaren Erklärungen auszuschließen und davon auszugehen, daß es derselbe Täter ist, der hinter dem Tod dieser beiden Frauen steckt. Es gibt keine offensichtlichen Zusammenhänge, es gibt kein Motiv, es gibt nicht einmal Ähnlichkeiten. Birgitta Medberg wurde in einer Hütte in einer Schlucht tief im Wald von Rannesholm getötet, und jetzt finden wir eine andere Frau, wahrscheinlich ausländischer Herkunft, mit einem groben Tau erdrosselt in einer brennenden Kirche. Die Zusammenhänge, die wir bisher gefunden haben, sind dunkel, zufälliger Art, es ist sogar zweifelhaft, ob wir überhaupt von Zusammenhängen sprechen können. Am Rande dieser Geschichte gibt es noch ein weiteres unklares Geschehen. Das ist der Grund, warum Linda hier sitzt.‹ Langsam, suchend, als habe er sämtliche Antennen zur gleichen Zeit nach verschiedenen Seiten ausgefahren, tastete er sich vorwärts durch ein Gelände, das sich von brennenden Schwänen zu abgeschlagenen Händen erstreckte. Er brauchte eine Stunde und zwölf Minuten, ohne Pause, um zu einem Schlußsatz zu gelangen, der eigentlich nichts weiter besagte als:
›Wir wissen einfach nicht, was passiert ist. Hinter den beiden toten Frauen, den brennenden Tieren und den brennenden Kirchen gibt es etwas, auf das wir nicht den Finger legen können. Wir wissen auch nicht, ob das, was wir sehen, das Ende von etwas ist oder nur ein Anfang.‹ Da, bei den Worten ›oder nur ein Anfange, waren also genau eine Stunde und zwölf Minuten vergangen. Er hatte während seines Vertrags gestanden.
Jetzt setzte er
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