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Vor dem Frost

Vor dem Frost

Titel: Vor dem Frost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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wichtig?«
    »Vielleicht.«
    »Fünf Minuten. Mehr nicht.«
    »Ich brauche zwei Minuten. Es werden doch alle Gespräche, die bei der Notrufzentrale eingehen, auf Band aufgenommen?«
    »Ja.«
    »Wie lange werden die Bänder aufgehoben?«
    »Ein Jahr. Warum fragst du?«
    »Das sage ich dir, wenn ich komme.«
    Als Linda das Präsidium betrat, war es zwanzig vor elf. Ihr Vater holte sie in der verwaisten Anmeldung ab. Sein Zimmer war völlig verqualmt.
    »Wer ist denn hier gewesen?«
    »Boman.«
    »Wer ist das?«
    »Der Staatsanwalt.«
    Linda erinnerte sich plötzlich an eine Staatsanwältin. »Und wohin ist sie verschwunden?«
    »Wer?«
    »Die, in die du verliebt warst. Die Staatsanwältin.«
    »Das ist lange her. Ich habe mich damals blamiert.«
    »Erzähl.«
    »Seine schlimmsten Peinlichkeiten soll man für sich behalten. Wir haben jetzt andere Staatsanwälte. Boman ist einer von ihnen. Ich bin der einzige, der ihn in seinem Zimmer rauchen läßt.«
    »Man kriegt ja kaum Luft hier drin!«
    Sie öffnete ein Fenster. Eine kleine Porzellanfigur, die auf der Fensterbank stand, fiel auf den Boden und zerbrach.
    »Oh, das tut mir leid.«
    Sie hob die Scherben auf. Sie meinte, die kleine Skulptur schon vor langer Zeit einmal gesehen zu haben. Sie stellte einen schwarzen Stier in Angriffsstellung dar.
    »Vielleicht kann man ihn kleben.«
    »Ich habe schon oft daran gedacht, ihn wegzuwerfen. Er weckt keine angenehmen Erinnerungen.«
    »Welche denn?«
    Er schüttelte abwehrend den Kopf. »Nicht jetzt. Was wolltest du denn?«
    Linda erklärte ihm, warum sie gekommen war. Die Porzellanscherben legte sie auf seinen Schreibtisch.
    »Du hast recht«, sagte er, nachdem sie geendet hatte.
    Er stand auf und machte ihr ein Zeichen mitzukommen. Im Flur stießen sie mit Stefan Lindman zusammen, der einen Stapel mit Aktenmappen trug.
    »Leg die Mappen weg und komm mit«, sagte Wallander.
    Sie gingen ins Archiv, wo die Bänder aufbewahrt wurden. Kurt Wallander rief einen der Kollegen zu sich, die die eingehenden Anrufe entgegennahmen. »Am 21. August«, sagte er. »Abends. Ein Mann ruft an und erklärt, über dem Marebosjö brennende Schwäne gesehen zu haben.«
    »Da hatte ich keinen Dienst«, sagte der Kollege, nachdem er ein Journal durchgesehen hatte, das auf einem Regal lag. »An dem Abend waren Undersköld und Sundin hier.«
    »Ruf sie an.«
    Der Kollege schüttelte den Kopf. »Undersköld ist in Thailand«, sagte er. »Und Sundin nimmt an einem Seminar über Satellitenfahndung in Deutschland teil. Die zu erreichen dürfte schwer werden.«
    »Und das Band?«
    »Das kann ich dir raussuchen.«
    Sie sammelten sich um das Tonbandgerät. Zwischen einem Bericht über einen mutmaßlichen Autodieb und dem Lallen eines Betrunkenen, der wissen wollte, ob man ihm helfen könne, seine Mutter zu suchen, befand sich der Anruf wegen der brennenden Schwäne. Linda zuckte zusammen, als sie die Stimme hörte. Der Mann versuchte, Schwedisch ohne Akzent zu sprechen. Aber es gelang ihm nicht. Sie ließen das Band immer wieder vor und zurück laufen.
    Notrufzentrale:
Polizei.
    Anrufer:
Ich will nur mitteilen, daß brennende Schwäne über dem Marebosjö fliegen.
    Notrufzentrale:
Brennende Schwäne?
    Anrufer:
Ja.
    Notrufzentrale:
Brennende was?
    Anrufer:
Brennende Schwäne über dem Marebosjö.
    Dann war das Gespräch vorüber. Kurt Wallander hatte Kopfhörer bekommen. Er reichte sie an Stefan Lindman weiter. »Der Mann spricht mit einem Akzent. Kein Zweifel. Ich finde, es hört sich wie Dänisch an.«
    Oder Norwegisch, dachte Linda. Was ist eigentlich der Unterschied?
    »Ich kann nicht sagen, ob es Dänisch ist«, meinte Stefan Lindman, als er die Kopfhörer an Linda weitergab.
    »Er sagt ›brinnende Sweene‹«, sagte Linda, als sie die Kopfhörer abnahm. »Ist das Dänisch oder Norwegisch? Oder beides?«
    »Das müssen wir klären«, sagte Kurt Wallander. »Aber es ist unglaublich peinlich, daß eine Polizeiaspirantin uns daran erinnern mußte.«
    Sie verließen den Raum, nachdem Kurt Wallander Anweisung gegeben hatte, daß das Band zugänglich bleiben sollte. Dann zog er mit den anderen im Schlepptau in den Eßraum. An einem der Tische hockten ein paar Verkehrspolizisten, an einem anderen Nyberg mit zweien seiner Techniker.
    Kurt Wallander nahm eine Tasse Kaffee und setzte sich an eins der Telefone. »Aus irgendeinem Grund habe ich diese Nummer im Kopf«, sagte er.
    Er wartete mit dem Hörer am Ohr. Jemand meldete sich. Das Gespräch war kurz. Er bat

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