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Vor dem Frost

Vor dem Frost

Titel: Vor dem Frost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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seinen Gesprächspartner, sofort ins Präsidium zu kommen. Linda hatte den Eindruck, daß die Person am anderen Ende der Leitung nicht die geringste Lust hatte, das zu tun.
    »Dann schicke ich dir einen Wagen mit Blaulicht und eingeschalteten Sirenen«, sagte Kurt Wallander. »Und laß dir Handschellen anlegen, damit deine Nachbarn sich fragen, was du angestellt hast.«
    Er legte auf.
    »Christian Thomassen, Steuermann auf einer der Polenfähren«, sagte er. »Er ist Quartalssäufer. Aber wir haben Glück, er ist auf Antabus. Er ist Norweger und dürfte in der Lage sein, den Akzent zu erkennen.«
    Siebzehn Minuten später trat einer der größten Männer, die Linda je gesehen hatte, durch die Eingangstür des Polizeipräsidiums. Er hatte enorme Füße, die in riesigen Gummistiefeln steckten. Er war an die zwei Meter groß, hatte einen Bart bis auf die Brust und eine Tätowierung auf dem kahlen Schädel. Als er sich setzte, stand Linda auf, um sehen zu können, was die Tätowierung darstellte. Es war eine Kompaßrose.
    Christian Thomassen lachte sie an. »Die Nadel weist genau in südsüdwestliche Richtung«, sagte er. »Dann fährt man direkt in den Sonnenuntergang. Wenn der Tod mich einholt, soll er sich nicht nach der Richtung fragen müssen.«
    »Dies hier ist meine Tochter«, sagte Kurt Wallander. »Kannst du dich an sie erinnern?«
    »Vielleicht. Ich erinnere mich nicht an so viele Menschen. Auch wenn ich selbst noch nicht im Schnaps ertrunken bin, sind die meisten meiner Erinnerungen untergegangen.«
    Er streckte ihr die Hand hin und grüßte sie. Linda fürchtete, er würde ihre Hand zerquetschen. Gleichzeitig dachte sie, daß seine Art zu sprechen sie an den Mann auf dem Tonband erinnerte.
    »Dann gehen wir«, sagte Wallander. »Ich möchte, daß du dir ein Tonband anhörst.«
    Christian Thomassen horchte aufmerksam. Viermal bat er, die Stimme noch einmal hören zu können. Als Stefan Lindman zum fünften Mal zurückspulen wollte, hob er die Hand. Es war nicht mehr nötig. »Der Mann auf dem Band ist Norweger«, sagte er. »Nicht Däne. Ich versuche herauszuhören, aus welcher Gegend in Norwegen er stammt. Aber das kann ich nicht. Vermutlich lebt er schon lange nicht mehr in Norwegen.«
    »Heißt das, daß er lange in Schweden gewesen ist?«
    »Nicht unbedingt.«
    »Aber du bist sicher, daß er Norweger ist?«
    »Auch wenn ich seit neunzehn Jahren in Ystad wohne und ungefähr acht davon gesoffen habe, meinen Ursprung habe ich noch nicht ganz vergessen.«
    »Dann danken wir dir«, sagte Kurt Wallander. »Sollen wir dich nach Hause fahren?«
    »Ich bin mit dem Rad da«, sagte Christian Thomassen und lachte. »Wenn ich saufe, kann ich das nicht. Dann kipp ich um und brech mir was.«
    »Ein merkwürdiger Mann«, sagte Wallander, als sie wieder allein waren. »Er hat eine sehr schöne Baßstimme. Wäre er nicht so faul und hätte er nicht so viel getrunken, hätte er eine Karriere als Opernsänger machen können. Ich vermute, er könnte als größter Baß der Welt bekannt geworden sein, zumindest körperlich.«
    Sie gingen in Wallanders Zimmer. Stefan Lindman betrachtete die Porzellanscherben, ohne etwas dazu zu sagen.
    »Ein Norweger«, sagte Kurt Wallander. »Damit wissen wir, daß der Mann, der die Schwäne verbrannte, auch den Laden in Brand gesteckt hat. Auch wenn wir es vorher schon geahnt haben. Es dürfte kein Zweifel bestehen, daß er auch das Kalb getötet hat. Die Frage ist nur, ob er es auch war, der in einer Waldhütte saß, als Birgitta Medberg vorbeikam.«
    »Die Bibel«, sagte Stefan Lindman.
    Kurt Wallander schüttelte den Kopf. »Die ist schwedisch. Außerdem ist es unseren Leuten gelungen, einen Teil des zwischen den Zeilen geschriebenen Textes zu entziffern. Es ist Schwedisch.«
    Es wurde still im Zimmer. Linda wartete. Stefan Lindman schüttelte den Kopf. »Ich muß schlafen«, sagte er. »Ich kann überhaupt nicht mehr denken.«
    »Morgen früh um acht«, sagte Wallander.
    Stefans Schritte verhallten im Flur. Lindas Vater gähnte.
    »Du mußt auch schlafen«, sagte Linda.
    Er nickte. Dann streckte er sich nach den Porzellanscherben. »Vielleicht ist es richtig so, daß er kaputtgegangen ist«, sagte er. »Ich habe ihn vor mehr als dreißig Jahren gekauft. Es war in einem Sommer, als ein Freund und ich nach Spanien gefahren sind. Ich hatte Mona schon getroffen, und es war mein letzter Sommer in Freiheit. Wir kauften einen alten Wagen und fuhren nach Spanien, um hübsche Carmencitas zu jagen.

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