Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vor dem Frost

Vor dem Frost

Titel: Vor dem Frost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
Vom Netzwerk:
auch.«
    Anna hörte sich vollkommen aufrichtig an, dachte Linda. Sie kann sich nicht so gut verstellen.
    »Ich muß mit jemandem reden«, sagte Anna.
    »Jetzt nicht«, sagte Linda. »Ich kann hier jetzt nicht weg.«
    »Nur ganz kurz? Wenn ich zum Präsidium komme?«
    »Du kommst hier nicht herein.«
    »Aber kannst du nicht herauskommen? Nur ein paar Minuten?«
    »Kann das nicht warten?«
    »Natürlich kann es das.«
    Linda hörte, daß Anna niedergeschlagen klang. Sie überlegte es sich anders.
    »Gut. Aber nur kurz.«
    »Danke. Ich bin in zehn Minuten da.«
    Linda ging den Flur hinunter zum Zimmer ihres Vaters, ohne jemandem zu begegnen. Auf einen Zettel, der auf der Schreibtischkante lag, kritzelte sie:
Gehe frische Luft schnappen und rede mit Anna. Bald zurück. Linda.
    Sie holte ihre Jacke und ging. Der Korridor war verwaist. Als sie hinausging, begegnete sie nur einer Reinigungskraft von der Nachtschicht, die ihren Wagen schob. Die Beamten in der Notrufzentrale waren mit Telefonaten beschäftigt. Niemand sah, wie sie die Anmeldung verließ.
    Die Reinigungskraft, die Lija hieß und aus Lettland stammte, begann immer an dem Ende des Flurs, wo die Räume der Kriminalpolizei lagen. Weil in mehreren Räumen noch gearbeitet wurde, nahm sie sich als erstes Wallanders Zimmer vor. Unter seinem Stuhl lagen lose Zettel, die er am Papierkorb vorbeigeworfen hatte. Sie räumte alles weg, was auf dem Fußboden lag, und verließ den Raum.
    Linda wartete vor dem Präsidium. Sie fror und zog ihre Jacke fester zu. Sie ging zu dem schlecht beleuchteten Parkplatz. Da stand das Auto ihres Vaters. Sie fühlte in der Jackentasche nach und merkte, daß sie immer noch den Reserveschlüssel bei sich hatte. Sie sah auf die Uhr. Es waren jetzt mehr als zehn Minuten vergangen. Die Straße war menschenleer. Kein Auto näherte sich. Um sich warm zu halten, ging sie schneller, schräg über die Straße zum Wasserturm und wieder zurück, jetzt joggend. Warum kam Anna nicht? Es waren jetzt fast fünfzehn Minuten vergangen.
    Sie stellte sich vor den Eingang des Polizeipräsidiums und sah sich um. Niemand da. Hinter den erleuchteten Fenstern bewegten sich Schatten. Sie ging wieder zum Parkplatz. Plötzlich beschlich sie ein ungutes Gefühl. Sie hielt inne und sah sich um. Der Wind rauschte im Laub, wie um sie zu stören. Sie wandte sich abrupt um und duckte sich gleichzeitig. Anna stand da.
    »Warum schleichst du dich an?«
    »Ich wollte dich nicht erschrecken.«
    »Wo kommst du her?«
    Anna zeigte vage in Richtung der Einfahrt zum Präsidium.
    »Ich habe dein Auto nicht gehört.«
    »Ich bin zu Fuß gekommen.«
    Linda wurde immer wachsamer. Anna war angespannt, ihr Gesicht wirkte gequält.
    »Was ist denn so wichtig?«
    »Ich will nur wissen, was mit Zebra ist.«
    »Darüber haben wir doch am Telefon gesprochen.«
    Linda zeigte auf die vielen erleuchteten Fenster des Polizeipräsidiums. »Weißt du, wie viele Menschen hier jetzt arbeiten?« fuhr sie fort. »Die nur eins im Kopf haben, nämlich Zebra zu finden? Du kannst glauben, was du willst, aber ich beteilige mich an dieser Arbeit. Ich habe keine Zeit, hier zu stehen und mit dir zu reden.«
    »Tut mir leid. Ich gehe schon.«
    Hier stimmt etwas nicht, dachte Linda. Ihr gesamtes inneres Alarmsystem schrillte. Anna wirkte verwirrt, wie sie angeschlichen kam, und ihre schlechte Entschuldigung, daß sie störte, wirkte nicht echt.
    »Du sollst noch nicht gehen«, sagte Linda mit einer gewissen Schärfe. »Wo du schon hergekommen bist, kannst du jedenfalls sagen, warum.«
    »Das habe ich schon gesagt.«
    »Wenn du etwas darüber weißt, wo Zebra ist, dann mußt du es melden. Wie oft muß ich das noch sagen?«
    »Ich weiß nicht, wo sie ist. Ich bin ja hergekommen, um zu fragen, ob ihr sie gefunden habt oder ob ihr wenigstens eine Spur habt.«
    »Du lügst.«
    Annas Reaktion kam so überraschend, daß Linda nicht vorbereitet war. Anna schien eine gewaltige Verwandlung durchzumachen. Sie stieß Linda vor die Brust und schrie: »Ich lüge nie! Aber du begreifst nicht, was vorgeht!«
    Dann drehte sie sich um und ging davon. Linda sagte nichts, blickte ihr nur stumm nach. Anna hielt eine Hand in der Tasche. Sie hat da etwas, dachte Linda. Woran sie sich klammert. Eine Mini-Rettungsboje in der Manteltasche. Aber warum war sie so erregt? Linda überlegte, ob sie hinter Anna herlaufen sollte. Aber Anna war schon nicht mehr zu sehen.
    Linda ging zurück zum Eingang des Präsidiums. Aber etwas hielt sie noch

Weitere Kostenlose Bücher