Vor dem Frost
zurück. Sie hätte Anna nicht gehen lassen sollen. Wenn es so war, wie es ihr vorkam, daß Anna aus dem Gleichgewicht war und sich seltsam verhielt, hätte sie sie mit ins Präsidium nehmen und jemand anderen bitten sollen, mit ihr zu reden. Sie hatte den Auftrag, in Annas Nähe zu bleiben. Jetzt hatte sie einen Fehler gemacht und sie viel zu schnell von sich gestoßen.
Sie versuchte, zu einer Entscheidung zu kommen. Sie schwankte zwischen der Rückkehr ins Präsidium und dem Versuch, Anna aufzuhalten. Sie wählte das letztere und nahm das Auto, weil es schneller gehen würde. Sie fuhr in die Richtung, die Anna eingeschlagen hatte, fand sie aber nicht. Sie fuhr den gleichen Weg zurück, doch wieder ohne Erfolg. Es gab einen zweiten Weg, den Anna gewählt haben konnte, doch auch da war sie nicht. War sie wieder verschwunden? Linda fuhr zu Annas Haus und hielt an. In der Wohnung war Licht. Auf dem Weg zur Haustür entdeckte sie, daß ein Fahrrad neben der Tür lehnte. Die Reifen waren naß, der bespritzte Rahmen war noch nicht getrocknet. Es regnete nicht, aber die Straßen waren voller Pfützen. Linda schüttelte den Kopf. Eine innere Stimme warnte sie davor, an der Haustür zu klingeln. Statt dessen stieg sie in den Wagen und setzte zurück, bis sie im Dunkeln stand.
Sie fühlte, daß sie jemanden um Rat fragen mußte. Sie wählte die Handynummer ihres Vaters, aber er meldete sich nicht. Er hat es wieder verlegt, dachte sie irritiert. Sie wählte Stefan Lindmans Telefon. Besetzt. Genauso wie Martinssons, bei dem sie es als nächstes versuchte. Linda wollte gerade wieder von vorn anfangen, als ein Wagen in die Straße einbog und vor Annas Haus hielt. Es war ein dunkelblauer oder schwarzer Wagen, vielleicht ein Saab. Das Licht in Annas Wohnung erlosch. Linda stand unter Hochspannung, ihre Hände um das Mobiltelefon wurden schwitzig. Anna kam aus dem Haus und stieg hinten ein. Dann fuhr der Wagen davon. Linda folgte ihm. Sie versuchte erneut, ihren Vater anzurufen, doch er meldete sich immer noch nicht. Auf Österleden wurde sie von einem Lastwagen mit hoher Geschwindigkeit überholt. Linda blieb hinter dem Lastwagen, schwenkte aber ein paarmal zur Fahrbahnmitte aus, um sicher zu sein, daß der schwarze Wagen noch da war. Er bog auf die Straße nach Käseberga ein.
Linda versuchte, möglichst weiten Abstand zwischen ihrem Wagen und dem, in dem Anna saß, zu halten. Noch einmal versuchte sie zu telefonieren, doch das Handy glitt ihr aus der Hand und landete unter den Sitzen. Erst bei Sandhammaren bog der Wagen vor ihr ab. Es kam überraschend, er hatte nicht geblinkt. Linda fuhr an der Abzweigung vorbei und hielt erst hinter einem Hügel und einer Kurve an. Bei einem Bushalteplatz wendete sie und begann zurückzufahren. Aber sie wagte es nicht bis ganz an die Abzweigung zu fahren.
Ein kleinerer Nebenweg führte nach links. Linda bog darauf ein und folgte dem schmalen und holperigen Weg. Er endete an einem zusammengefallenen Tor und einer verrosteten Dreschmaschine. Linda stieg aus. Hier am Meer wehte es stärker. Sie suchte die Taschenlampe und die schwarze Strickmütze ihres Vaters. Als sie sie aufsetzte, dachte sie, daß die Mütze sie unsichtbar machen würde. Sie überlegte, ob sie noch einmal telefonieren sollte. Aber als sie sah, daß der Akku bald leer war, steckte sie das Handy in die Tasche und ging den Weg, den sie gekommen war, zurück. Es waren ein paar hundert Meter bis zur Abzweigung nach Sandhammaren. Sie ging so schnell, daß sie ins Schwitzen kam. Die Straße lag im Dunkeln. Sie blieb stehen und horchte. Es waren nur der Wind und das Tosen des Meers zu hören.
Fünfundvierzig Minuten suchte sie zwischen den Häusern, die verstreut in der Gegend lagen, und wollte bereits aufgeben, als sie plötzlich den dunkelblauen Wagen entdeckte, der zwischen ein paar Bäumen stand. Es gab kein Haus in der Nähe. Sie horchte wieder. Alles war still. Sie schirmte das Licht der Taschenlampe mit der Hand ab und leuchtete ins Innere des Wagens. Auf der Rückbank lagen ein Halstuch und ein Hörschutz. Da hatte Anna gesessen. Sie versuchte zu verstehen, warum diese Dinge da lagen. Dann richtete sie die Taschenlampe auf den Boden. Es gingen Pfade in verschiedene Richtungen, aber einer wies die meisten Fußspuren auf.
Linda wollte ihren Vater anrufen, ließ es aber sein, als ihr einfiel, daß der Akku fast leer war. Statt dessen schickte sie ihm eine SMS.
Bin bei Anna. Melde mich wieder.
Sie löschte die Lampe und
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