Vor dem Regen - Roman
Leggings und Plastiksandalen gekleidet.
Während Dusty die Begrüßungsformalitäten erledigte - Detective Buchanon, Detective Roberts-Thomson -, betrachtete sie intensiv das Gesicht ihres Gegenübers und sah, wie sich dort Wachsamkeit ausbreitete. Hier war die Holzhammermethode eines gewaltsamen Eindringens mittels Durchsuchungsbefehl definitiv nicht angesagt. Schließlich wollte sie, dass die Insassen sich öffneten und redeten, nicht, dass sie sich verschlossen.
»Wir sind wegen des Schweins da«, sagte sie.
»Schwein?«, fragte die Frau, wenn auch das »sch« mehr nach »s« klang. S-wein.
»Ja, das Schwein, das abhandengekommen ist.«
»Du finden mein S-wein?«
»Nicht ganz«, sagte Dusty. »Aber wir würden gerne darüber reden.«
Dusty war klar, dass das ein gewagtes Spiel war - wieso sollten sich zwei Detectives die Mühe machen, Ermittlungen wegen eines Schweins anzustellen, das noch nicht einmal als vermisst gemeldet war? Aber es war einen Versuch wert. Wenn es zu nichts führte, blieb immer noch die Holzhammermethode.
»Kommen rein«, sagte die Frau und zog die Tür weiter auf. »Ich heiße Ruby.«
Dusty sah Flick kurz mit kaum merklich gehobener
Augenbraue an. Bist du dabei? Flick antwortete mit einem minimalen Nicken. Klar. In dem Moment, als Dusty die Schwelle überschritt, roch sie das thailändische Essen, diese himmlische Komposition aus Zitronengras, Limonenblättern, Kokosmilch, Fischsauce und Chili.
»Essen elst«, erklärte Ruby mit der panasiatischen Geste für Essen: eine geöffnete Handfläche für die Schüssel, zwei Finger der anderen Hand als Reis schaufelnde Essstäbchen.
»Mit dem größten Vergnügen«, sagte Dusty.
An der Wand eins von diesen Samtbildern. Gegenüber eine Frau mit Monstertitten. Eine Bar aus Bambusrohr. Julien, die Panasonic-Kamera, hatte eine höchst akkurate Beschreibung geliefert.
Sie folgten Ruby durch den Gang, vorbei an Zimmer eins bis vier. Dusty musste an Julien in Zimmer zwei denken, Julien mit heruntergelassener Hose, Julien, der sich einen blasen ließ; was für eine unschöne Situation für eine Tucke. Andererseits, hätte er ihr nicht von dem Hawthorn-Trikot erzählt, Dusty wüsste beim besten Willen nicht, wie weit sie den Fall vorangebracht hätte - vielen Dank auch, Big C.
Die Küche kannte Dusty noch vom letzten, heimlichen Besuch bei Ruby’s. Der CD-Spieler auf der Bank dudelte Thai-Pop, und um den rechteckigen Tisch saßen vier Personen. Dusty erkannte Harold von Juliens Beschreibung wieder. Sie hatte die Jungs von der Sitte schon nach ihm befragt. Kein Akteur, hatten sie gesagt. Immerhin ergab die Überprüfung der Lizenz für Ruby’s, dass sie auf einen Harold La Roux ausgestellt war. Noi, vermutete Dusty, musste die mit den Titten sein. Die Frau neben ihr, Gold an den Fingern, Gold um den Hals, musste Rubys Schwester sein. Fünf Jahre älter, fünf Kilo schwerer, aber die gleiche helle
Haut. Neben ihr ein Mädchen, sie konnte keine zwanzig sein, von atemberaubender Schönheit.
Auf eine formelle Begrüßung wurde verzichtet, als sei das Erscheinen zweier Detectives zum Mittagessen in einem Vorstadtpuff ganz alltäglich. Die Einzige, die mit ihrer Anwesenheit nicht einverstanden zu sein schien, war Noi - ihre böse gerunzelte Stirn hätte direkt aus Reich und Schön stammen können. Sie zischte Ruby etwas auf Thai zu, woraufhin sich ein Wortwechsel entspann. Dusty hatte den Eindruck, als würde Noi zurechtgewiesen.
Stühle wurden gebracht, Teller aufgedeckt. Dusty erkannte grünes Chicken Curry. Sie erkannte Tom Yum Goong. Ein drittes Gericht konnte sie nicht identifizieren. Über den Tisch hinweg sah sie Flick an und fragte sich, wie die wohl mit diesem Aspekt der Ermittlungsarbeit zurechtkäme. Allem Anschein nach bestens, häufte sie doch fröhlich Reis auf ihren Teller.
Ein Mundvoll grünes Chicken Curry genügte, und Dusty wusste, dass jedes grüne Chicken Curry, das sie bisher genossen hatte, nur Scharlatanerie gewesen war. Selbiges galt für die wundervolle Tom Yum Goong.
»Was ist das?«, fragte sie und deutete auf das dritte, bislang unidentifizierte Gericht.
»S-wein«, sagte Rubys Schwester.
»S-wein, was fortgelaufen ist«, ergänzte Ruby.
Das war anscheinend furchtbar witzig und wurde dementsprechend insbesondere von den Schwestern und Noi beifällig belacht. Dusty merkte, dass sie nicht halb so schlau war, wie sie gedacht hatte. Ruby hatte ihren fadenscheinigen Vorwand auf Anhieb durchschaut. Warum sie sich dennoch
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