Vor dem Regen - Roman
Telefon gewartet. Die kleine, zerbrechlich wirkende Frau war zu Prozessbeginn sehr ungnädig gewesen, das Wetter war ihr zu heiß, das Appartement mit Service nicht gut genug. Mr. Maxwell dagegen war der idealtypische Engländer: höflich, reserviert. Erst als der Prozess schon mehrere Wochen andauerte und die beiden erkannten, wie bedingungslos Dusty und die Staatsanwaltschaft sich einsetzten, öffneten sie sich etwas und zeigten ihren tiefen Schmerz.
»Mrs. Maxwell, hier ist Detective Buchanon.«
»Dusty, wie schön, wieder Ihre Stimme zu hören.«
Im Hintergrund zwitscherten Wellensittiche.
»Ist Ihr Mann zu Hause, Mrs. Maxwell?«
»Ja, er frühstückt gerade.«
Es gab einfach keine sanfte Art, es zu sagen.
»Ich möchte es Ihnen mitteilen, bevor Sie es aus der Zeitung erfahren: Wahrscheinlich haben wir Ihre Tochter gefunden.«
Sie hatten Dusty früher schon erklärt, sie wüssten, dass ihre Tochter tot sei, und sie wünschten sich nur, die Leiche nach Hause überführen zu können. Dennoch hatte Dusty gezweifelt, ob es wirklich möglich sei, jede Hoffnung für das eigene Kind so vollständig fahren zu lassen. Irgendwo musste doch ein kleines Fünkchen Hoffnung glimmen.
»Wo?«, fragte Mrs. Maxwell.
»In der Wüste. Nicht weit von dort, wo wir vermutet hatten.«
»Und war sie …?«
»Ich weiß über die Einzelheiten nicht Bescheid, Mrs. Maxwell. Aber der Autopsiebericht wird sehr bald vorliegen.«
»Wann können wir kommen und sie holen?«
»Es ist nicht nötig, dass Sie eigens herkommen. Wir können alles Nötige -«
»Mein Mann und ich werden kommen und unsere Tochter holen«, erklärte Mrs. Maxwell knapp, und Dusty kannte sie und ihren Mann gut genug, um zu wissen, dass sie exakt das tun würden.
»Und dieser Mann. Jetzt können Sie ihn doch ins Gefängnis stecken.«
Dieser Mann, das war natürlich Gardner. Mrs. Maxwell nannte ihn nie beim Namen, so als würde diesem Monster durch die namentliche Anrede ein Respekt zuteil, den es nicht verdiente und auf den es kein Anrecht hatte.
»Ich hoffe es, Mrs. Maxwell. Aber es wird nicht leicht werden. Ich weiß, dass die Gesetze in Ihrer Heimat geändert wurden, aber hierzulande ist es nicht möglich, jemanden nach einem Freispruch noch einmal für dasselbe Verbrechen anzuklagen.«
Eine lange Stille trat ein, nur die Wellensittiche waren noch zu hören.
Schließlich sagte sie: »Ich weiß, dass Sie Ihr Bestes tun werden, Dusty. Ich und mein Mann, wir wissen, Sie werden Ihr Bestes tun.«
Als Dusty auflegte, überkam sie eine gewaltige Scham. Ihre Antipathie Flick gegenüber, die Wut, von dem Fall abgezogen worden zu sein - was war das schon im Vergleich zum Leid der Maxwells und ihrem Bedürfnis, endlich erleben zu dürfen, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wurde?
Sie rief Flick an.
»Hier Dusty. Mir sind da noch ein paar Sachen eingefallen. Vielleicht könnten wir uns morgen zusammensetzen und darüber reden.«
10
Ball flach halten. Das war von Anfang an Barry O’Loughlins Devise gewesen, denn sein Instinkt sagte ihm, dass die Sache nur ja nicht ausufern durfte. Er hatte es sogar als Akronym gedacht. Wie bei der amerikanischen Armee: BFH. Ball flach halten. Oder gleich: BISFH. Ball immer schön flach halten. Alle waren ganz aus dem Häuschen gewesen, als der Medienrummel losging. Radio. Zeitungsartikel. Der Beitrag in Today Tonight . Hey, das ist Publicity, natürlich ist das
toll. Aber Barry war sich da nicht so sicher. Ein kleines bisschen Publicity? Gern. Dann sehen die anderen Veteranen, dass es uns gibt und die Öffentlichkeit weiß, worum es uns geht. Ein bisschen, aber nicht zu viel. BFH. Ball flach halten. Nicht an die große Glocke hängen. Nicht zulassen, dass sie uns zur Freakshow machen. Hereinspaziert! Hereinspaziert! Hier sehen Sie echte Veteranen. Unsere Veteranen können laufen. Sie können sprechen. Sie wurden mit Agent Orange verseucht. Sie haben PTBS!
Die Entscheidung der Regierung des Northern Territory, ihren Anspruch auf das Land ernsthaft in Erwägung zu ziehen, war zweifellos ein großer Durchbruch, gar keine Frage. Um ganz ehrlich zu sein, Barry hatte das, trotz all der Arbeit, die er und die anderen da hineingesteckt hatten, nicht erwartet. Aber es lag immer noch ein weiter Weg vor ihnen. All die Widerstände. Von den Aborigines. Von der Naturschutzbehörde. Von Rio Tinto. Von praktisch allem und jedem.
Ein großer Durchbruch, aber nicht der Durchbruch. BFH. Ball flach halten.
Die anderen wollten feiern, und
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