Vor dem Regen - Roman
es der Teil der Stadt, den Dusty am wenigsten gut kannte.
Als das Taxi dann nach links in den Jabiru Crescent einbog, schwante ihr nichts Gutes. Sie konnte sich nicht entsinnen, schon einmal in dieser Straße gewesen zu sein, und hatte keine Ahnung, wohin sie führte. Die Straßen bildeten hier auch kein Gitterraster, sondern schlängelten sich mal hierhin, mal dorthin, gerade wie es dem Hirn eines irren Planers entsprungen war.
Urplötzlich verwandelte Jabiru Crescent sich in Jabiru Feldweg. Die Häuser wurden rarer und standen weiter voneinander entfernt. Dazwischen lagen freie Parzellen, manche zur Bebauung vorbereitet, andere wild überwuchert.
Dusty hatte allmählich den Eindruck, sich in der Wildnis zu befinden, einer Gegend, die man sich aussuchte, um eine
Methadonküche aufzuziehen, einen gestohlenen Wagen abzufackeln oder eine Leiche zu vergraben.
Vor einem der Häuser hielt das Taxi, und Dusty blieb nichts anderes übrig, als weiterzufahren. Sie zog den Kopf ein und versuchte möglichst, nicht wie jene Dusty Buchanon auszusehen, die Franky Ng einst hinter Schloss und Riegel gebracht hatte. Kurz darauf fand sie eine Stelle, an der sie halten und den weiteren Verlauf der Ereignisse im eilends verstellten Rückspiegel verfolgen konnte.
Mit einer schwarzen Aktentasche stieg Franky Ng aus seinem Taxi.
Zwölfeinhalb Minuten blieb er im Haus, dann kehrte er allein und mit Aktentasche zurück. Er sprang ins Taxi und beeilte sich davonzukommen. Dusty wartete kurz ab, bevor sie Beastie Boy startete. Sie wendete und hielt vor dem Haus. Es war ein großes, ausladendes Gebäude - gemauert, und zu beiden Seiten ragten zwei riesige Klimaanlagen wie Henkel hervor. Es wirkte irgendwie unvollendet, wie diese Häuser, vor denen ein Eigentümer-Bauherren-Schild aufgepflanzt war und die sich im Zustand immerwährender Errichtung zu befinden schienen. Fürs Erste hatte Dusty genug gesehen. Sie fuhr zurück.
38
»Um sieben geh ich rein«, entschied Dusty und sah auf die Uhr.
»Klingt gut«, sagte Gerard auf dem Fahrersitz seines zivilen Dienst-Commodore, dann: »Ist das wirklich deine Uhr?«
Einerseits war das eine völlig idiotische Frage - schließlich
trug sie sie am Handgelenk. Natürlich war es ihre Uhr. Aber Dusty war schon klar, was Gerard meinte - verlässt du dich in deiner täglichen Arbeit als Polizistin tatsächlich auf diesen ramschigen Billigchronometer?
»Daheim hab ich eine bessere«, erwiderte sie.
Was auch stimmte - eine Tag Heuer, ein Geschenk von James, die ihr Dasein in einer Schublade in der Küche fristete, weil das Zifferblatt Dusty zu sehr an sein Gesicht und die Jahre, die er ihr gestohlen hatte, erinnerte, als dass sie sie hätte tragen wollen.
»Deine geht knappe fünf Minuten nach«, stellte Gerard mit einem Blick auf die eigene Uhr, eine massige Rolex Submariner, fest.
Vielleicht lag es am Koffeinmangel - sie hatten sich um sechs getroffen, damit ausreichend Zeit blieb, um Gerard die Lage zu erklären und Handynummern auszutauschen, wie man das eben so machte, dummerweise hatte die Zeit dadurch aber nicht für einen Kaffee gereicht - jedenfalls ging »der Buchhalter« Dusty bereits jetzt auf die Nerven.
»Das spielt doch keine Rolle«, sagte Dusty.
Sie konzentrierte sich wieder auf das Haus Nummer 242 Jabiru Crescent. Immer noch keinerlei Lebenszeichen.
»Könntest du deine Uhr nicht schnell stellen?«, bat Gerard.
»Du meinst, wir sollen die Uhren synchronisieren?«
»So könnte man es ausdrücken.«
»Du hast in letzter Zeit wohl ein bisschen viel ferngesehen«, brummte Dusty.
Gerard schluckte das zwar, aber Dusty spürte, dass er damit nicht glücklich war.
»Ich hätte wirklich ein weitaus besseres Gefühl, wenn wir die Uhren synchronisieren würden«, sagte er am Ende.
Es herrschte kein Mangel an Erzählungen darüber, wie »anal« Gerard sei. Und für die Leitung des Schuppens war es ja wirklich von Vorteil, sich hingebungsvoll um Kleinigkeiten zu kümmern, ja, es war mit ein Grund dafür, weshalb der Laden so reibungslos und zuverlässig wie eine Rolex Submariner lief. Dusty war sich nur nicht ganz sicher, ob »anal« sie heute Vormittag sonderlich weit bringen würde.
»Wenn dir so viel daran liegt«, sagte sie.
Gerard schien zufrieden. »Auf mein Zeichen stellst du auf sieben.«
»Gut«, sagte Dusty und schnallte die Uhr ab.
»Jetzt«, befahl Gerard.
Dusty nahm die nötige Anpassung vor. Beide Uhren, das taiwanesische Ramschding und die Rolex Submariner, zeigten
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