Vor dem Regen - Roman
die selbstverständlich alle gebürtige Thais waren - kein Angehöriger eines anderen Volkes konnte es wagen, sich an etwas derart essenziell Thailändischem zu versuchen. Man stelle sich einen Inuit beim Zubereiten eines Haggis vor, oder einen Bulgaren, der ein Sushi zaubert. Dusty ging seit mittlerweile mehr als zehn Jahren zu Mrs. Pon. Wie immer trug sie einen weit ausladenden Strohhut und eine Plastikschürze und saß auf einem winzigen hölzernen Hocker, den großen Steinmörser zwischen ihren Beinen.
»Mrs. Dusty!«, grüßte sie lächelnd und entblößte die vom Betelkauen verfärbten Zähne.
»Mrs. Pon!«, erwiderte Dusty nicht weniger freudig.
»Ich schon meinen, du heute nicht kommen. Du gehen andere Som-Tum-Frau.«
Seit langem schon zogen sie sich gegenseitig mit Dustys vermeintlicher Untreue auf.
»Aber nein, niemand macht Som Tum wie Mrs. Pon.«
Und das war die Wahrheit. Ein Som Tum brauchte nur wenige Zutaten - geraspelte unreife Papaya, Erdnüsse, Chili, Limonensaft, Zucker, getrocknete Shrimps und Fischsoße -, aber nur Mrs. Pon und ihrem Zaubermörser gelang stets aufs Neue die exakt richtige Mischung.
»Wie viel Chili heute?«
Normalerweise war Dusty eine Schote genug. James hatte sich gern zwei geben lassen, dann aber beim Essen jedes Mal einen Anblick des Jammers geboten - vom Schweiß, der in Strömen rann, bis zur fleckigen Haut. Insgeheim hatte Dusty immer vermutet, es sei ihm mehr um eine fehlgeleitete Solidarität mit den Chili essenden Unterprivilegierten der Dritten Welt gegangen als um den tatsächlichen Genuss. Aus irgendeinem Grund aber beschloss Dusty, heute aufs Ganze zu gehen.
» Sarm «, entschied sie.
» Sarm ?«, lachte Mrs. Pon und hielt drei Finger in die Höhe.
» Sarm «, bestätigte Dusty und versuchte dabei, Mrs. Pons ansteigende Tonhöhe zu imitieren.
» Pedas «, fügte sie hinzu, bevor ihr auffiel, dass » pedas « indonesisch für scharf war, nicht thai.
Aber Mrs. Pon hatte verstanden. » Pedas, pedas «, lobte sie, zerstampfte dann rhythmisch die Zutaten mit dem Holzstößel und hielt Dusty schließlich einen Löffel zum Probieren hin. Die Mischung aus süß, sauer, scharf, salzig und bitter war absolut perfekt.
»Himmlisch.«
Mrs. Pon schaufelte den Mörserinhalt in einen Plastikbehälter.
» Kop khun kh’a «, sagte Dusty, als sie die sechs Dollar zahlte.
» K0p khun kh’a« , erwiderte Mrs. Pon und legte die Handflächen aneinander.
»Eins noch«, sagte Dusty und holte eine der Seiten hervor, die sie bei Ruby’s aus dem Kalender abfotografiert hatte.
Dusty hatte so ihre Zweifel, ob ein von Mrs. Pon, der Som-Tum-Verkäuferin, übersetztes Dokument vor Gericht anerkannt würde. So bewundernswert ihre Fähigkeiten auch waren, über die zwingend vorgeschriebene NAATI-Akkreditierung verfügte sie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht. Da Dusty sich aber momentan in Uniform zurückgestuft sah, blieb ihr gar nichts anderes übrig, als auf Mrs. Pon zurückzugreifen.
»Kannst du mir sagen, was das heißt?«
Sorgfältig wischte Mrs. Pon sich die Hände an einem kleinen Handtuch ab, dann nahm sie Dusty mit größter Ehrfurcht das Blatt Papier aus der Hand. Sie betrachtete es eingehend und erklärte dann mit nicht geringer Befriedigung: »Thai-Schrift.«
»Ja, das ist mir auch klar, aber was steht da?«
Mrs. Pon brüllte etwas über die Schulter. Gleich darauf beugten sich vier Som-Tum-Verkäuferinnen, jede mit ausladendem Strohhut, Plastikkittel und umweht von den Aromen ihrer Zutaten, über das Blatt.
»Also, was steht da nun?«, fragte Dusty schließlich, nachdem sich hinter ihr eine stattliche Kundenschlange gebildet hatte.
»Ist wegen, du weißt schon, nicht haben Baby.«
»Kondome?«, präzisierte Dusty.
Das führte zu wahren Lachkrämpfen unter den Som-Tum-Verkäuferinnen. Mochten sie auch Konkurrentinnen sein, sobald es etwas zu lachen gab, und vor allem, wenn es auf Kosten einer Farang etwas zu lachen gab, gehörten sie zusammen.
»Besten Dank«, sagte Dusty und nahm das Blatt wieder an sich.
Sie kaufte einen Mango-Shake, setzte sich in den Schatten einer Tamarinde und aß das Som Tum. Am Nebentisch saßen die beiden Aboriginefrauen, die eben noch erbitterte Rivalinnen gewesen waren, und teilten sich einen Teller Chicken Saté. Es war ihnen offenbar gelungen, jemanden davon zu überzeugen, dass in einem Gemälde »viel Punkte« einen Wert an sich bedeuteten.
Sie war enttäuscht, doch nicht entmutigt. Wie oft hatte sie es nicht schon
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