Vor dem Regen - Roman
reingestopft waren, die Haut zugenäht und der Bericht geschrieben war, behielt Singhie das Schicksal seiner Kunden auf ihrem Weg durch die Institutionen gern im Blick. Dabei konnte es einem gehörig auf die Nerven gehen, wenn Singhie sich immer wieder mal meldete, um eine seiner abwegigen Theorien vorzubringen, und Dusty hatte sich mehr als einmal gefragt, ob er nicht doch den einen oder anderen Patricia-Cornwell-Krimi zu viel gelesen hatte.
»Makarov«, sagte Singhie. »Russisches Fabrikat. Trifft man nicht gerade häufig an.«
Dustys Kenntnisse über Handfeuerwaffen beschränkten sich auf die unmittelbare Erfahrung - also auf das Modell, das sie selbst verwendete, sowie diejenigen, die bei ihren Ermittlungen eine Rolle gespielt hatten. Makarov sagte ihr gar nichts.
Singhie saß am Computer und gab »Makarov« bei Google ein. Er drückte auf Enter und klickte eines der Suchergebnisse an.
Nebenan wurde der Summer gedrückt. Eine Tür ging auf. Die Stimmen ihrer ehemaligen Kollegen aus der Mordkommission; Worte hallten von gefliesten Wänden wider.
»Jetzt bin ich dran«, sagte Dusty zu Dr. Singh, und genauso fühlte es sich an: als sei sie diejenige, die seziert würde, nicht die Leiche auf der Bahre.
Bethany trank ihren Kaffee, Flick telefonierte mit dem Handy, und Fontana machte ein angesäuertes Gesicht.
»Wehe, das bringt nichts, Buchanon«, sagte er, »ich stecke bis zu den Augenbrauen in Arbeit.«
»Lass bloß Gardner nicht aus den Augen, klar«, mahnte
Dusty. »Wenn ich nämlich richtig liege, dann kann niemand sagen, wie er reagieren wird.«
Wieder ertönte der Summer, Bethany öffnete die Tür, und der Anwalt Stan Lavery trat ein. Er war grauhaarig, nahm kein Blatt vor den Mund, war echtes Darwiner Urgestein und wusste, wo die Leichen begraben lagen, wer sie vergraben hatte und für welches Football-Team ihr Herz geschlagen hatte. Bei ihm war der Hauptverdächtige für den Mord an Dianna McVeigh Evan Dale Gardner.
»Evan, wie geht es Ihnen?«, fragte Dusty freundlich.
Er grunzte.
Manches ändert sich nie, dachte sie. Stunden und Aberstunden hatte sie Gardner befragt, und alles, was sie ihm je entlockt hatte, war ein Grunzen.
»Sie haben einen Gefallen gut bei mir«, sagte sie, als sie Stan Lavery die Hand gab.
»Einen?«, entgegnete er.
Dusty, Bethany und Flick standen auf der einen Seite der Bahre, Stan Lavery mit seinem Mandanten auf der anderen, und hinter ihnen drückte sich Fontana herum.
»Mr. Gardner, ich wüsste gern, ob Sie diese Person kennen«, sagte Dusty und gab Bethany ein Zeichen.
Die zog den Saum des Tuchs zurück, unter dem Jonsbergs Gesicht zum Vorschein kam.
Keine Reaktion von Gardner.
Damit hatte Dusty durchaus gerechnet. Jonsberg war erschossen, vergraben, ausgegraben und obduziert worden - vermutlich hatte er schon einmal deutlich besser ausgesehen. Sie bemerkte die Genugtuung auf Bethanys Gesicht, auf Flicks Gesicht, vielleicht sogar auf Fontanas Gesicht - Dusty hat wieder mal Mist gebaut.
»Weiter«, befahl Dusty Bethany.
»Das ist doch totaler Quatsch«, erwiderte die.
Dusty drängte sich vor, packte das Tuch und riss es herunter, bis auf Jonsbergs fleckiger rechter Schulter die Tätowierung eines gelynchten Schwarzen sichtbar wurde.
Ein Schrei war es nicht, ein Brüllen auch nicht, aber was immer es war, es entrang sich Gardners tiefstem Innern. Und wenn es auch die Toten nicht zu erwecken vermochte - die blieben brav auf ihren Bahren liegen -, so schreckte es doch zumindest einen ihrer Wärter auf, Omar nämlich, der mit dem Ruf: »Was ist da los?« aus dem Nebenraum hereinstürzte.
Gardner warf sich auf Jonsberg, grub die Finger in sein wächsernes Gesicht. Fontana handelte sofort, packte ihn von hinten, krallte sich in seinen King-Gee-Overall und zog ihn zurück. Auch Stan Lavery blieb nicht untätig und warf schützend die Arme um seinen Mandanten.
Dusty übergab Flick zwei Blatt Papier, die jeweils ein DNA-Profil enthielten. Das erste stammte aus dem Bericht, den Flick ihr gegeben hatte und der eine nicht identifizierte DNA-Spur an McVeighs Leiche auflistete, die so genannte Kontaminierung. Das zweite stammte von der vor ihnen liegenden Leiche. Sie waren identisch. Dusty wusste, dass sie hier die ganz große Show ab- und sich aller Wahrscheinlichkeit nach den ewigen Hass von Detective Roberts-Thomson zuzog, aber es war einfach zu schön. Sie holte einen Asservatenbeutel aus Plastik hervor. Darin lag die Halskette, die Chantay getragen und gegen Dustys
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