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Vor dem Sturm (German Edition)

Vor dem Sturm (German Edition)

Titel: Vor dem Sturm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesmyn Ward
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er träumt. Junior bewegt sich, und ich halte ihn ganz fest; er ist mein Schutzschild.
    Das Summer-League-Spiel findet in der Sporthalle der Grundschule in St. Catherine statt. Miss Dedeaux hat uns erzählt, dass die Grundschule früher die schwarze Schule des Bezirks war, ehe die Schulen 1969 zusammengelegt wurden, nach dem letzten großen Hurrikan, als die Leute so erschöpft waren vom Auffinden und Wiederbegraben der aus der Erde gerissenen Leichen ihrer Verwandten, vom Schlafen in Zelten auf den Plattformen, die einst die Fundamente ihrer Häuser gewesen waren, vom meilenweiten Laufen oder Radfahren, um frisches Wasser und Nahrungsmittel zu bekommen, dass sie nicht mehr die Kraft hatten, sich weiter gegen das Gesetz zu wehren, das die Rassentrennung abschaffte. Daddy hat die Schule besucht, als sie noch ausschließlich für Schwarze war, und Mama auch. An einem ihrer Bluesabende, nachdem ich bis zum Umfallen getanzt hatte, hat Mama mir erzählt, wie sie sich kennengelernt haben, dassDaddy sie auf dem Flur immer wieder an den Haaren gezogen und sich über ihre Kleinmädchenzöpfe lustig gemacht hatte, wo doch der Rest von ihr schon so erwachsen war, und wie sie sich eines Tages umgedreht und ihn so doll in die Brust geboxt hatte, dass ihm der Atem stockte. Da hörte er auf, sie an den Haaren zu ziehen, und fing an, ihr stattdessen Geschenke in ihr Pult zu legen: kleine Pekannuss-Süßigkeiten, die er bei seiner Großmutter mitgehen ließ, in Zeitung gewickelte ganze Pekannüsse, Brombeeren, die heiß und staubig waren von der Sonne und vom Straßengraben und schwarzen Saft verkleckerten. So hat es mit den beiden angefangen.
    Jetzt hängt entlang der Wand neben der Tür Bastelpapier in einer improvisierten Ausstellung. Die Bögen flattern im Wind des Großventilators, und am Imbissstand rollt eine Frau mit handgelegter Wasserwelle, einem Goldzahn und azaleenfarbenen Lippen die Augen in Richtung Junior, der absichtlich trödelt, als wir an ihr vorbeigehen. Die Leberflecken in ihrem Gesicht gehen an einigen Stellen in Sommersprossen über, wie chaotisch verteilte Farbspritzer. Auf ihrem Klapptisch liegen Tüten mit Kartoffelchips, fein säuberlich aufgereiht, eine dicht an der anderen. Ich packe Junior an den knochigen Schultern und schiebe ihn nach oben auf die Tribüne, wo wir uns hinsetzen.
    In der Sporthalle ist es dunkel, die Stahlstreben unter der Decke verlieren sich in einem feuchten Dunst, der einer Wolkendecke ähnelt; hier in den oberen Tribünenreihen ist es heißer als unten. Big Henry sitzt neben Marquise, der sich breitbeinig auf einen Ellbogen stützt und versucht, ihm einen Sportdrink abzubetteln. Randall ist schon auf dem Feld und spielt sich ein, wirft seinen Mannschaftskameraden den Ball zu, während sie sich umeinander und zwischen einander hindurchschlängeln, Korbleger probieren, Rebounds holen und den Ball in hohem Bogen passen. Skeetah rutscht auf der Bank nach hinten, bis sein Po den Bodenberührt, streckt die Beine aus, sodass die Schuhsohlen zum Feld zeigen, und stützt sich mit ausgebreiteten Armen auf dem Sitz hinter sich ab. Er wirkt etwas gelöster, nicht mehr so zugeschnürt. Er wischt sich mit dem T-Shirt über die Stirn, und sofort erscheinen dort neue Perlen. Er nickt lässig. Er lächelt, seine Zähne sind weiß und ebenmäßig: glänzendes Elfenbein. Er ist high.
    »Du staunst, dass ich mitgekommen bin.« Skeetah spricht mit dem Feld, sein Lächeln ist ermattet. Er schließt feierlich die Augen.
    »Jo.«
    »Was geschehn is, is geschehn.« Skeet zuckt die Achseln, seine Schultern heben und senken sich wie geschmeidige Federn. »China wird zu mir zurückkommen. Zu sich selbst. Bald.«
    »Hast du sie ihr schon wiedergebracht zum Säugen?«
    »Jo. Hab ihr das Maul zugehalten. Immer wenn sie den Kopf zu ihnen gedreht hat, hab ich ihr eins auf die Nase gegeben.«
    »Meinst du, die andern drei kommen durch?«
    »Scheiße, ja. Und ob die durchkommen werden.« Skeetah legt den Kopf auf die Bank hinter seinen Schultern. Er schluckt, und sein Adamsapfel gleitet nach unten wie eine Maus durch den Schlund einer Schlange. »So leicht geb ich nich auf.«
    Junior klopft mir auf den Oberschenkel, hämmert einen Morse-Code.
    »Esch?«
    »Geh schon. Aber bleib weg vom Imbissstand.«
    Junior lächelt, mit fehlenden Vorderzähnen, verschluckt dann aber die Antwort und gibt sich Mühe, vertrauenswürdig auszusehen, damit ich ihm glaube, dass er sich vom Imbiss fernhalten wird.
    »Und geklaut wird auch

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