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Vor dem Sturm (German Edition)

Vor dem Sturm (German Edition)

Titel: Vor dem Sturm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesmyn Ward
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gänzlich schwarz, so schwarz wie eine Nacht ohne Sterne. Alles, was ich mir je gewünscht habe. Er weiß es.
    »Scheiße!«, schreit Manny, zieht mich hoch und stößt mich von sich. Ich knalle gegen die Tür hinter mir, die raue Katzenzunge seines Gesichts ist weg, und stattdessen bekomme ich Stahl zu fassen, Luft, nichts. Die Toilette riecht wie das Salz im Sumpfschlick, wie Kaulquappen, die im schrumpfenden Flachwasser verenden, und er zieht seinen Reißverschluss hoch, quetscht mich in die Ecke der Kabine, als er die Tür aufmacht, und lässt mich in der dunklen Toilette stehen, mit triefenden Schenkeln und schmerzhaft prallen Brüsten. Eine von Mamas Haarspangen baumelt an einer Strähne meiner Haare, ehe sie ins Klo fällt und in der schäbigen Schüssel versinkt. Ich wische mich ab, spüle, betrachte den sich drehenden Wasserwirbel, wie ein Babysturm, der die Spange einsaugt und immer tiefer trägt, bis sie verschwunden ist.
    Ich habe die Schwelle des Toilettenraums schon drei Mal überquert, aber jedes Mal, wenn ich denke, ich sei fertig mit Weinen und könnte zurück zum Spiel gehen, mich neben meine Brüder setzen, als wäre nichts geschehen, fangen meine Augen wieder an zu schwimmen, und meine Brust brennt heißer als die helle Luft draußen, wo die Bienen schläfrig in den Königinblumen herumkrabbeln, und ich muss wieder in die Toilette zurück. Ich gehe in die andere Kabine, ziehe die Füße hoch, hocke mich auf den Klositz. Presse das Gesicht an meine salzigen Knie. Sobald ich atmen kann, verlasse ich die Kabine, um mir kaltes Wasser ins Gesicht zu spritzen, aber meine Augen sind immer noch rot, die Lider in dem Zerrspiegel geschwollen. Und dann denke ich, Manny hat mich gesehen und sich von mir abgewandt, von dem, was ich trage, hat sein verbranntes goldenes Gesicht aus meinen Händen gezogen, und schon weine ich wieder, weine um das, was ich war, was ich bin und was ich sein werde, wieder.
    »Esch, ist alles klar?«
    »Alles klar.«
    »Big Henry hat gesagt, ich soll nach dir schauen. Ich hab ihm gesagt, ich will nicht auf die Damentoilette gehen, aber er meinte …«
    »Ich komme schon. Warte kurz.«
    Immerhin ist mein Gesicht trocken. Vielleicht werden alle nur denken, ich sei high. Ich will, dass Junior vor mir um das Gebäude herum in die Turnhalle geht, deshalb gehe ich langsam, aber er geht ebenfalls langsamer, um mich nicht zurückzulassen, und wir brauchen zehn Minuten, bis wir wieder auf der Vorderseite sind.
    »Ist alles okay, Esch?«, fragt Junior.
    Halbherziges Händeklatschen flattert auf wie kleine Fledermäuse. Hier und da ein Freudenschrei. Klingt leer.
    »Jepp.« Ich atme durch den Mund. Auf dem Klo habe ich so heftig geweint, dass mir übel wurde. Kinder laufen am Eingang zur Turnhalle umher wie unsere Hühner zu Hause, und ich rechne damit, dass Junior mit ihnen wegrennt und ich mich allein in die Halle schleichen kann, aber er tut es nicht. Er schiebt seinen Arm unter meinen Ellbogen, als wolle er mir Geleitschutz geben, und ich halte den Kopf gesenkt und die Augen halb geschlossen, sodass ich nur anonyme Beine, Tennisschuhe und Füße in Goldsandaletten sehe, während Junior mich die Tribünentreppen hinaufführt. Wir gehen um Big Henry herum und setzen uns eins höher, ein Stückchen weg von Skeetah, sodass Junior und ich am weitesten von der Menge und dem Spielfeld entfernt sind, hier oben im Dunkeln. Erst nach dem Hinsetzen wird mir klar, dass Manny und seine Freundin und Rico ein paar Sitze unter uns sitzen, etwas weiter rechts. Manny hat sich vorgebeugt, weg von ihr, als wolle er gleich aufspringen und nach unten aufs Spielfeld rennen. Sein T-Shirt spannt sich über seinen Schultern, über seinem verkrampften Rücken, und ich wende den Blick ab.
    »Esch?«, fragt Skeetah. Er ist inzwischen nicht mehr ganz so high, seine Augen sind nicht mehr so trübe.
    »Mir geht’s gut.« Ich versuche, es laut zu sagen.
    »Der Scheißnigga.« Skeetah berührt sanft mein Knie und unterstreicht seine Worte mit einem Nicken. Es fühlt sich an, als berühre er die Traurigkeit in mir mit seiner Hand, deshalb ziehe ich mein Knie weg und presse die Lippen zusammen. Schon jetzt kommen mir wieder die Tränen. Er berührt mein Knie noch einmal, diesmal nur mit einem Finger: leicht und schnell. »Das Arschloch.« Er spuckt das Wort an Mannys Rücken, laut genug, dass Big Henry es hören kann.
    »Was is denn los?«, fragt Big Henry. Ich schüttele den Kopf und schaue zu Boden.
    Skeetah schlägt mit

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