Vor dem Sturm (German Edition)
Muskeln an Lende, Rücken und Schultern klar und sauber wie ein Filzstift nachzeichnet.Big Henry neigt sich zur Seite, berührt mit der Fußspitze leicht den Boden, als wolle er jeden Augenblick losrennen. Ich stecke die Hände in meine kurzen Shorts und schaue hinunter auf meine Tennisschuhe, die ich geschrubbt habe, bis sie so weiß wie möglich waren: cremeweiß, ein schmutziges Beige in der Farbe von Eiweiß, das mit Pfeffer gekocht wurde. Big Henry wendet sich von China ab, die gerade wieder eine Grimasse schneidet. Ich setze mich auf die andere Seite neben Marquise, dicht an Big Henrys Windschutzscheibe. Marquise rutscht nach vorne, um mir Platz zu machen.
»Meinst du, er ist so weit?«
»Wer?«, fragt Marquise.
»Mit dir red ich nicht, du Blödmann.« Big Henry lacht, ehe er sich mit einem Seitenblick auf China und mich auf die Lippen beißt.
»Skeetah?«, frage ich. Big Henry schüttelt über das vorsichtige Abmessen, Füllen und Stopfen, das Marquises zuckender Rücken signalisiert, hinweg den Kopf.
»Randall.«
Randall drängelte sich vermutlich gerade mit Skeet im Badezimmer, zischte ihm entweder zu, er solle sich gefälligst beeilen und aus der Dusche kommen, oder wusch sich mit Waschlappen und Seife über dem Waschbecken und hinterließ Seifenschaum auf Ablage, Fußboden und Toilette, daran gewöhnt, Skeet zu ignorieren, vermutlich in Gedanken schon bei seinem Spiel. Er ist schon seit Jahren zu groß, um sich am Waschbecken zu waschen.
»Der is schnell. Is bestimmt gleich so weit.«
»Ich mein das Spiel.« Jetzt lächelt Big Henry ein bisschen, verzieht ganz leicht die Mundwinkel.
»Ach so.« Ich nicke mit rotem Kopf. »Hat den ganzen Tag geübt. Der is so weit.« Mein Schweiß macht die Rückseite meiner Oberschenkel glitschig; ich rutsche über das Metall wie einKlumpen Schlamm, der bei starkem Regen bergab rutscht, und komme langsam und klebrig an Marquises Rücken zum Halt.
»Wow, Esch, ich wusste gar nicht, dass du so an mir interessiert bist.« Marquise dreht sich um und grinst um den Blunt herum, den er gerade anleckt, um ihn zuzukleben. Er zwinkert mir zu. Seine Zunge ist an den Rändern weiß, Fetzen vom Zigarettenpapier sind abgeblättert und bleiben kleben wie Krümel. Ich kenne dieses Zwinkern, dieses Grinsen. So hat er auch gelächelt, als wir zum letzten Mal Sex hatten, ungefähr vor einem Jahr, als er fertig war und sich mit dem Rücken zu mir abwischte; da hat er dieses Grinsen wie eine Handvoll Salz nach hinten über die Schulter geworfen. Ich halte mich an der Rille fest, wo die Windschutzscheibe auf die Kühlerhaube trifft, und ziehe mich weg von ihm, damit wir uns nicht mehr berühren. Ich mag sein Grinsen nicht.
»Lass sie in Ruhe, Marquise.«
»Ich mach sie doch nur an.«
»Zu heiß, um irgend jemand anzumachen.«
Ich rutsche an der Seite des Wagens herunter, bis ich stehe, mit gesenktem Kopf, um meine Shorts zurechtzuziehen, damit sie nicht in den Schritt rutschen und mich bloßstellen. Als ich schließlich wieder hochschaue, betrachtet mich Big Henry mit dem gleichen benommenen, halb konzentrierten Blick, mit dem er China angeschaut hat, so als starre er mich an, denke aber an etwas anderes. Ich zucke die Achseln, und als mir klar wird, dass keine Frage gestellt wurde, zucke ich noch einmal die Achseln.
»Ich geh mal Randall holen.« Ich setze mich abrupt in Bewegung und fange stolpernd an zu rennen. Spüre, wie sie mir nachblicken.
Als wir losfahren, schläft Daddy. Ich stelle ihm einen vollen Becher Wasser und ein Päckchen Cracker auf den Nachttisch undrücke die Fläschchen mit seinen Medikamenten näher zusammen, damit er leichter rankommt. Er schläft mit offenem Mund, das Gesicht schlaff von der Medizin, und sabbert. Während Juniors und Randalls Gesichter im Schlaf babyhaft, dick und glatt aus sehen, ähnelt Daddys Schlafgesicht dem von Skeetah: höckerig, die Haut gespannt: ein im Kampf erstarrtes Gesicht. Von der Kommode strahlt mich Mama an, streichelt Daddy mit beiden Händen, lächelt.
Ich bin froh, dass ich im Auto hinten am Fenster sitze, mit Juniors knochigem, unruhigem Körper auf dem Schoß, in der Mitte Skeetah, der an dem Blunt zieht, und neben ihm am anderen Fenster Marquise, kaum zu sehen durch die Qualmwolke. Big Henrys Kopf könnte unter der Basecap jedes beliebigen Jungen sein, und Randall lehnt mit geschlossenen Augen an der Kopfstütze. Alles an ihm ist still, nur seine Augenlider hüpfen auf und ab wie Libellen. Ich glaube nicht, dass
Weitere Kostenlose Bücher