Vor dem Sturm (German Edition)
von uns, Polaroids, hat Mama zwischen Glas und Rahmen des Spiegels gesteckt. Es gibt ein gerahmtes Bild, auf dem sie und Daddy sich gegenüberstehen. Ihre Hände liegen auf seiner Schulter, ihr Haar ist geglättet und weich zurückgebunden, ihr Kleid vorne ausgeschnitten, sodass ihr Schlüsselbein zu sehen ist, kompakt und wunderschön glänzend wie eine Türklinke aus Messing. Sie lächelt mit geschlossenemMund. Daddy lächelt gar nicht, aber er hat die Hände um ihren Rücken gelegt und den Kopf so ernst und stolz zur Seite geneigt, wie Skeetah es immer macht, wenn er bei einem Kampf neben China steht, sie allen zeigt, ehe das wilde Raufen losgeht, das schneidende Bellen und Beißen.
»Beweg mal die Antenne«, sagt Daddy. Seine Stimme klingt so trocken wie die Cracker. Er beugt sich zur Seite, holt neben dem Bett ein Korbtablett hervor und zieht es sich auf den Schoß. Die Schale wackelt in seiner linken Hand. Als er sie abstellt, kleckert ein bisschen Suppe auf den Topflappen.
Es kommt nur Rauschen. Ich nehme die rechte Antenne und richte sie auf.
»Nach unten«, sagt Daddy.
Die Lüftung im Fensterrahmen bläst keine Luft ins Zimmer. Jeder Tag scheint heißer zu sein als der vorige. Ich nehme die linke Antenne und spreize die beiden auseinander wie eine Astgabel.
»Genau.«
»Katrina hat das Festland von Florida erreicht … Meilen von Miami entfernt.« Die Regionalnachrichten laufen. Die Wetterfrau spricht mit dem Moderator, und sie zeigt auf den interaktiven Bildschirm vor sich, aber der Fernseher ist so alt und die Auflösung so schlecht, dass die Landkarte wie Beton aussieht und der Sturm wie ein Ölfleck.
»Ersten Berichten zufolge gab es einige Tote. Weiß man … und wo … die Prognose?« Mikes Stimme ist glatt und geschmeidig, wenn wir sie durch das Rauschen hören können.
»… noch unklar. Der Sturm ist momentan … der Stufe eins … abflauen … noch ändern.« Das Haar der Frau ist hell; sie könnte blond sein.
»Was raten Sie unseren …, Rachel?« Der Fernseher ächzt und rauscht, deshalb spreize ich die Antennen noch ein bisschen weiter.
»… so gut es geht auf den Sturm vorbereiten. Katrina ist unterwegs … sofern er nicht abschwächt … in nordwestlicher Richtung, sollten sich außerdem auf … wird die Regierung Evakuationsmaßnahmen anordnen.«
»Was bedeutet das genau?«
»Das heißt, die Zuschauer sollten … zu Hause auf den Hurrikan vorbereiten, sondern stattdessen … eine mögliche Evakuation …« Rachel scheint zu lächeln.
»Ich sehe nichts, Esch.«
Ich trete einen Schritt zur Seite. Mike wendet sich der Kamera zu.
»… Schnellstraßen sind für die Evakuation geöffnet. Es ist ratsam, sich frühzeitig auf den Weg … stundenlang … Verkehr stecken zu bleiben.«
»Du stehst immer noch im Bild«, sagt Daddy. Er bläst auf seine Suppe und rührt sie um, aber er isst nichts. Stattdessen lässt er seine gesunde Hand hinter dem Tablett auf seinen Schoß sinken.
Mama lächelt heiter auf dem Foto. Sie hat keine Ahnung, dass sie drei Jahre später in dem Bett, in dem Daddy jetzt mit drei fehlenden Fingern liegt, verbluten wird. Auf einem der Polaroids tanze ich in der Küche. Das war bei einer von Mamas und Daddys Partys, bei denen seine Freunde, und ein oder zwei von ihren, sich trafen, um Bier zu trinken und Austern und Kartoffeln zu essen, die im selben Öl, gewürzt mit demselben Sand und Salz, goldbraun gebraten worden waren. Mama schloss den Radiorekorder in der Küche an, legte Kassetten von der Bobby »Blue« Band, Denise LaSalle und Little Milton ein, und ich tanzte, während die Menge klatschte und sich über meine ruckartigen Kopfbewegungen amüsierte, während wir alle in der Küche schwitzten. Mama sagte,
Super mein Schatz, meine kleine Tanzmaus
, und dann bewegte ich mich noch ausladender, schwenkte die Arme noch wilder. Ließ mich von der Musik ausquetschen. Jetzt schaue ichmich an, und dann Mama, den hüpfenden Randall und den dunkeläugigen, grinsenden Skeet, der auf seinem Foto aussieht, als hätte er Würmer, und kann mich nur mühsam davon abhalten, die Bilder vom Spiegel zu reißen, mit in mein Zimmer zu nehmen, auf meinem Bett auszubreiten und zu versuchen, sie zu dekodieren, sie wie ein Jumbo-Puzzle neu zusammenzusetzen.
»Vorbereitungen … ichtig«, sagt Rachel.
Ich schließe Daddys Zimmertür.
China atmet bellend. Nach jedem Einatmen atmet sie mit einem Bellen aus, das knallt wie ein Schlag mit der flachen Hand. Der Ton wird bis in den Wald
Weitere Kostenlose Bücher